Sendung 651 vom 25.07.2024
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Unrecht wird nicht Recht, nur weil es mal den Richtigen trifft. Als das Bundesministerium „für Inneres und Heimat“ am Dienstag vergangener Woche bekanntgab, dass das rechte Magazin Compact verboten sei, gab es keinen Grund zu trauern. Keine Träne für Elsässer. Der Vorgang aber steht für mehr als bloß sich selbst. Schon länger hobeln deutsche Regierungen an dem, worauf zu stehen sie vorgeben. 2019 ereilte die kurdischen Verlagshäuser Mezopotamien und MIR-Multimedia GmbH wegen PKK-Nähe das Verbot. 2022 untersagte man im Fahrwasser des Ukraine-Kriegs Sputnik und RT Deutsch die Verbreitung in Deutschland. Seit Beginn des Gazakriegs wurden Personen aufgrund israelkritischer Äußerungen Opfer staatlicher Repression. Es kommt nicht darauf an, ob man mit den Betroffenen in jeder Frage übereinstimmt. Es geht ums Prinzip. Und immer wieder vermengen Ministerium und Verfassungsschutz vorsätzlich das Gefahrenpotential von rechts mit der Systemkritik von links.
Der kategorische Imperativ gilt auch im Politischen. Einfacher: Für Linke sind Verbote gegen rechts deswegen interessant, weil es sie als nächstes treffen könnte. Bekanntlich wird die junge Welt vom Verfassungsschutz beobachtet, sie muss vor der Drohkulisse eines möglichen Verbots arbeiten. Unscheinbar, regelrecht beiläufig haben die Behörden rote Linien überschritten. Wenn Innenministerin Nancy Faeser den Beschluss gegen Compact damit begründet, daß man „auch gegen die geistigen Brandstifter vorgehen“ muss, wiederholt sie, was Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang am 1. April in der FAZ erklärt hatte: Nicht nur „Gewaltaufrufe“ oder konkrete Planung von Gewalt seien Anlass, tätig zu werden, sondern auch die „Delegitimierung“ der Bundesrepublik oder eines ihrer politischen Vertreter.
Die Vorgehensweise Faesers wird auch außerhalb der politischen Rechten kritisiert; vielfach ist die Rede von einem Missbrauch des Vereinsgesetzes. Der Verband der Zeitschriftenverleger sprach von einem „schwerwiegenden Eingriff in die durch das Grundgesetz geschützte Pressefreiheit“. Ein Sprecher des Ministeriums gab sich dennoch überzeugt, dass die Verbotsverfügung einer gerichtlichen Überprüfung standhalten werde.
Rechtfertigungsbedarf sah das Innenministerium vorläufig an anderer Stelle. Am Dienstag war aufgefallen, dass einige Medien schon wenige Minuten nach der Bekanntgabe des Verbots ausführlich über die Maßnahme berichteten. Auch bei einigen Durchsuchungen waren Pressefotografen anwesend. Damit steht der Verdacht im Raum, dass ausgewählte Medien vorab informiert wurden. „Uns ärgert das“, sagte der Sprecher dazu. Der Sache werde „nachgegangen“. Aus dem Innenministerium seien diese Informationen jedenfalls nicht gekommen, betonte der Sprecher. Doch man davon ausgehen, daß dieses „nachgehen ausgeht wie das Hornberger Schießen.
Es langt also, daß jemand Kritik am kapitalistischen System übt oder das Grundgesetz durch Bestimmungen über Vergesellschaftung zu erweitern vorschlägt. Es langt, ein fundamentales Urteil zu äußern, um staatlicherseits verfolgt zu werden, selbst dann, wenn die betreffende Person keine Anstalten macht, ihren Worten Taten folgen zu lassen.
Und das berührt eine größere Frage. Im Nebelwort der „wehrhaften Demokratie“ kommt ein Widersinn zum Ausdruck, ein ganz logischer aber. Unter dem Vorwand, bürgerliche Freiheit zu schützen, wird bürgerliche Freiheit eingeschränkt. Im Moment des vermeintlichen Notstands zeigt sich, was der Möglichkeit nach immer schon vorlag: Die Werte der bürgerlichen Gesellschaft, auf denen das Selbstverständnis des sich freiheitlich sehenden Staats, mithin das Gefühl moralischer Dignität gegenüber autokratischen Systemen steht, sind nicht universell, sondern partikular. Sie werden abgebaut, sobald es erforderlich scheint. Freiheit wird gepflegt, solange sie nichts kostet. Daß diese Werte zur Stunde – und unter Beifall der Zivilgesellschaft – fallen, ist kein Skandal, es ist ein Wahrheitsereignis. Ein Staat macht sich kenntlich.
Unter „verfassungsmäßiger Ordnung“ ist laut Bundesverfassungsgericht die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ zu verstehen. Spätestens hier müssten Linke mit minimalem Geschichtsbewusstsein ins Grübeln kommen. In den 1970er und 80er Jahren wurde Tausenden Personen der Eintritt in den öffentlichen Dienst verwehrt, mit der Begründung, sie stünden angeblich nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. In vielen Fällen kam das einem Berufsverbot gleich. Getroffen hat es fast ausschließlich Linke. Die Annahme, dass jetzt unter der SPD-Innenministerin Faeser quasi eine späte Korrektur dieses Kurses vorgenommen werde und man Rechtsradikale als wahre Feinde der Demokratie erkannt habe, ist zu bezweifeln. Denn das Compact-Verbot reiht sich ein in verschiedene Maßnahmen, die als „Stärkung der Demokratie“ vermarktet werden, häufig aber das Gegenteil bewirken.
Das Disziplinarrecht für Bundesbeamte wurde ebenfalls durch Faeser verschärft, um „Verfassungsfeinde deutlich schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen“. Der Begriff des „Rechtsstaats“, der ursprünglich im Gegensatz zum Polizeistaat für die Gewährleistung des Schutzes vor der Staatsgewalt stand, wurde früher vor allem von Konservativen zur Legitimation einer Law-and-Order-Politik umgedeutet. Heute verknüpfen auch Politikerinnen wie die Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann „Rechtsstaat“ ganz selbstverständlich mit Härte und Abschiebungen. Und wer die Verbote von pro-palästinensischen Demos oder dem sogenannten Palästina-Kongress verfolgt hat, dürfte ahnen, dass sich hier ein zunehmend autoritärer Liberalismus entfaltet, dem zur Verteidigung der liberalen Demokratie anscheinend nur Verbote einfallen, die eben diese Demokratie schwächen.
In welche Richtung dieser angebliche Demokratieschutz geht, verdeutlicht ein Prozess, der zur selben Zeit am Verwaltungsgericht Berlin stattfand. Die Tageszeitung Junge Welt klagt dort dagegen, dass sie in den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes aufgeführt wird, der Faesers Bundesinnenministerium unterstellt ist. Diesem gilt die Junge Welt als linksextremes Medium (genau wie er auch Compact seit Jahren als rechtsextremes Medium eingestuft und die Razzien vom Dienstag mitvorbereitet hat), aber nicht nur – sie sei nämlich mehr als ein Medium, wirke als politischer Faktor und schaffe Reichweite durch Aktivitäten wie zum Beispiel die Durchführung der alljährlichen Rosa-Luxemburg-Konferenz. Einzelne Redaktionsmitglieder und einige der Stamm- und Gastautorinnen und -autoren seien dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Wer die Pressemitteilung zum Compact-Verbot liest, wird hier einige Parallelen finden.
Noch handelt es sich „nur“ um eine Nennung im Verfassungsschutzbericht. Aber ist es so unrealistisch, dass irgendwann auch beim Chefredakteur der Jungen Welt die Polizei klingelt, Haus und Redaktion durchsucht, Datenträger, Dokumente, Geld und Handys beschlagnahmt und die Website abgeschaltet wird? Überlegungen dahingehend, ein AfD-Innenminister könne mit der gleichen Argumentation in Zukunft auch linke Zeitungen verbieten, darf man als Drohung interpretieren. Eine Blaupause für solche Verbote sollten wir daher nicht bejubeln. Denn das „harte Durchgreifen des Rechtsstaates“ könnte sich früher oder später gegen uns selbst richten.
Dieser Staat entfernt sich immer mehr von dem was als Demokratie bezeichnet wird. Und das ist eine hochgefährliche Entwicklung.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.