Sendung 646 vom 06.06.2024
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Wochenlang empörtes Bohei im Mediengestrüpp: Kiew darf nicht mit westlichen Waffen nach Russland hineinschießen. Verrat. Noch am Freitag ereifert sich Clemens Wergin in der Welt, es sei höchste Zeit, »dass sich das ändert und wir der Ukraine ermöglichen, diesen Krieg nicht weiter mit einer festgebundenen Hand führen zu müssen«.
Er hatte die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) nicht gelesen. Die berichtete am Donnerstag als erste deutschsprachige »Qualitätszeitung« nicht nur über die beiden Drohnenangriffe der ukrainischen Armee auf Frühwarnsysteme der strategischen russischen Atomraketenabwehr, sondern von einer ganzen Angriffsserie Kiews. Titel: »Angriffe auf Russlands militärische ›Augen‹. Mit den neu eingetroffenen Atacms-Raketen schlägt die Ukraine erfolgreich zu – Priorität haben die feindlichen Radaranlagen.« Laut NZZ-Korrespondent Andreas Rüesch hatte Kiew »in den letzten Tagen« seine »Schläge im russisch kontrollierten Hinterland verstärkt«. Auffällig sei dabei, dass sich die Serie vor allem gegen die »Augen« der russischen Militärmacht richteten, gegen Radaranlagen und die damit verbundenen Einrichtungen der Flugabwehr. Rüesch: »Mindestens ein Dutzend bedeutsame Angriffe auf solche Anlagen haben sich seit dem 20. April ereignet, die Hälfte davon innerhalb der letzten sieben Tage.« Russland habe »schwere Verluste erlitten«.
Rüesch zählt auf: In der vergangenen Woche Zerstörung eines Abwehrsystems vom Typ S-400 »in der Provinz Donezk« durch eine mit Streumunition bestückte US-»Atacms«. Dieselbe Rakete sei in der Nacht zum Dienstag am Rande von Lugansk gegen Radaranlagen vom Typ »Nebo-M« eingesetzt worden, mit denen Flugbewegungen auf 600 Kilometer Entfernung zu erkennen seien. Außerdem: Zerstörung von zwei S-400 sowie einer Radaranlage auf der Krim, Versenkung der Korvette »Ziklon« im Hafen von Sewastopol sowie die erwähnten Attacken auf die strategischen Frühwarnsysteme in Südrussland und im Südural. Rüesch: »Offensichtlich geht es darum, dem Kreml zu demonstrieren, dass die ukrainischen Drohnen Russland auch auf strategischer Ebene schaden können.«
Anders gesagt: Kiew hat sich freihändig wochenlang auf russische Ziele eingeschossen und alle angeblich vom Westen gesetzten roten Linien überschritten, als es Radaranlagen angriff, die Richtung Nahost und China ausgerichtet sind und mit dem Ukraine-Krieg nur aus der Sicht derjenigen zu tun haben, die alles Militärische in Russland als Ziel betrachten.
Das ist in Kiew der Fall – in einem Maß, dass am Mittwoch die Washington Post titelte: »USA besorgt über ukrainische Schläge gegen russische Atomradarstationen«. Die Zeitung zitierte einen US-Regierungsvertreter, der erklärt habe, dass die Radarstationen nicht zur Unterstützung des russischen Krieges in der Ukraine genutzt worden seien. Am Freitag folgte – nach mehr als einer Woche Schweigen fast der gesamten deutschen Bürgerpresse – das Internetportal der FAZ, faz.net, mit der Überschrift: »Kiews Erfolge, die Washington Sorgen bereiten«. Die Autoren des Beitrags zitieren einen in der Bundesrepublik lebenden russischen Militärfachmann. Er nehme an, »dass Kiew mit den Angriffen versuche, die westliche Diskussion über eine Aufhebung der Waffeneinsatzbeschränkungen zu beeinflussen, mit der Botschaft, man sei schon jetzt in der Lage, sich in russisch-amerikanische Belange einzumischen«. Der faz.net-Artikel erschien kurz nachdem Joseph Biden einige Beschränkungen fürs Hineinschießen nach Russland aufgehoben hatte, Berlin folgte umgehend.
Der Schwanz hat erfolgreich mit dem Hund gewackelt. Russland drohte am Freitag mit »asymmetrischen Antworten«. So klappt es mit dem nächsten Weltkrieg.
Das Verhalten der bestimmenden Politiker des Westens, die Tag für Tag auf die »Verteidigung unserer Werte« pochen, erinnert an die berühmten drei Affen, die nichts sehen, nichts hören und nichts sagen wollen.
Die Äußerungen aus den Hauptstädten der NATO und der EU und auch aus den meisten ihrer Mitgliedstaaten, machen deutlich, daß der Begriff »Frieden« diesen Leuten offenbar ein Fremdwort ist. Sie reden zwar davon, meinen aber zumeist das genaue Gegenteil, nämlich Krieg. Sie wollen nicht sehen, daß sie mit ihrer Politik der Aufrüstung, der Verschärfung der Spannungen, der Eskalation des Krieges in der Ukraine, der immer neuen Sanktionen gegen jede ihnen mißliebige Regierung, unsere Welt auf einen kreuzgefährlichen Kurs bringen, bei dem jeden Tag, jede Minute die Gefahr eines großen Knalls über unseren Köpfen schwebt. Die Profite der Banken und Großkonzerne, vor allem jener, die sich am Krieg dumm und dämlich verdienen, sind ihnen wichtiger als die Lösung all der vielen Probleme, mit denen die große Mehrheit der Menschen konfrontiert ist.
Diese Leute wollen nicht hören, wenn aus bestimmten Hauptstädten außerhalb des »Werte-Westens« vernünftige Vorschläge kommen. Sie wollen aus blindem Haß nicht zuhören, wenn in Moskau deutlich gesagt wird, daß man eher heute als morgen zu Gesprächen über eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg bereit ist. Sie wollten schon vor über zwei Jahren nicht zuhören, als bei den damaligen Gesprächen zwischen ukrainischen und russischen Abordnungen ein Lösungsvorschlag ausgehandelt worden war, der den Krieg hätte beenden können. Stattdessen schickten sie den britischen Premierminister nach Kiew, um dort zu verkünden, daß es den USA und ihren Vasallen lieber ist, den Krieg fortzusetzen.
Sie wollen nicht hören, wenn die chinesische Regierung einen Zwölf-Punkte-Friedensplan vorlegt, der auf den Prinzipien der UNO-Charta beruht, sie wollen nicht hören, wenn Staaten wie Südafrika oder Brasilien Vermittlungen anbieten, und sie wollen auch nicht hören, wenn der Papst erklärt, daß Verhandeln nicht Kapitulieren bedeutet.
Sie wollen nicht nur nicht hören und nicht sehen, sondern auch nicht darüber sprechen, wenn der chinesische Staatspräsident eine internationale Friedenkonferenz für den Nahen Osten vorschlägt. Weder das staatliche Fernsehen in Deutschland, noch die hiesigen Medien berichten auch nur mit einem Wort über diesen äußerst vernünftigen Vorschlag. Stattdessen wird der brutale Angriffskrieg Israels gegen das Volk von Palästina immer wieder kleingeredet, ist beschönigend von »Militäreinsatz« statt von Krieg die Rede, beschwört man immer wieder das »Recht Israels auf Selbstverteidigung«. Daß diese »Selbstverteidigung« längst zu einem veritablen Völkermord geworden ist, will man nicht sehen, nicht hören und schon gar nicht aussprechen.
Im Parlament der Europäischen Union gibt es nur sehr wenige Stimmen von einzelnen Abgeordneten, die zuweilen die Gelegenheit bekommen, diese Probleme im Plenum anzusprechen. Nur wenige hören ihnen zu, und die Äußerungen bleiben folgenlos, weil dieses Parlament völlig einflußlos auf die wirkliche Politik der EU ist. Der Kurs dieser Union, die vor Jahren den Friedensnobelpreis bekommen hat, bestimmen ganz andere Leute, nämlich die in gewissen Chefetagen – und die stehen nicht zur Wahl am 9. Juni.
Deshalb ist es sinnvoll, am nächsten Sonntag seine Stimme denjenigen zu geben, die zu sehen, zu hören und über Frieden statt Krieg zu sprechen bereit sind.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.