Sendung 634 vom 11.01.2024
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Wir wünschen ihnen ein schönes neues Jahr und freuen uns, Sie auch dieses Jahr zu unserer Sendung willkommen zu heißen. Unsere erste Sendung beginnen wir mit einem Blick auf den Krieg gegen die Menschen in Gaza.
Hierzu haben wir einen Artikel in englischer Sprache von Andrew Cockburn, dem Herausgeber des monatlichen Harper Magazin (Washington), das erstmals 1850 erschien, übersetzt und möchten ihnen den hier vortragen. Das englische Original erschien auf seiner Webseite „Spoils of War“ unter dem Titel: „Die Definition des Wahnsinns, wieder“.
„Wahnsinn“, soll Albert Einstein gesagt haben, „ist es, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten“.
Es ist schwer zu verstehen, was Israel mit der Ermordung des stellvertretenden politischen Führers der Hamas, Saleh al-Arouri, am 2. Januar in Beirut oder die USA mit der Ermordung des Anführers der irakischen Schiitenmiliz, Mushtaq Taleb al-Saidi, am 4. Januar im Herzen von Bagdad zu erreichen hofften. Wenn die Attentäter jedoch erwartet haben, daß die Morde die Macht der Hamas schwächen oder Angriffe auf US-Stützpunkte im Irak und in Syrien verhindern würden, sind sie eindeutig als Verrückte zu bezeichnen.
Israel ist seit langem süchtig nach Attentaten. In seinem 2018 erschienenen Buch „Rise and Kill First“ enthüllt der israelische Enthüllungsjournalist Ronen Bergman, daß seit der Gründung des Staates insgesamt mehr als 2.700 Menschen erschossen, vergiftet, in die Luft gesprengt oder auf andere Weise beseitigt wurden. Die Mordlust, die Alternativen wie Diplomatie oder Kompromisse ausschließt, scheint zwanghaft zu sein und hat oft unangenehme Folgen für Israel. Im Jahr 1992 beispielsweise betrachteten die Israelis die im Entstehen begriffene libanesische Schiitengruppe Hisbollah als potentielle Bedrohung und ermordeten ihren Anführer Abbas al-Musawi zusammen mit seiner Frau und seinem fünfjährigen Sohn.
Sein Nachfolger, Hassan Nasrallah, erwies sich jedoch als weitaus effektiverer Gegner und formte die Hisbollah zu einer schlagkräftigen Militärmacht, die die Israelis schließlich ganz aus dem Libanon vertrieb. Israel nahm jahrelang Hamas-Führer ins Visier, aber wie die Journalistin Helena Cobham feststellt, hat die Hamas „im Laufe der Jahrzehnte (a) eine widerstandsfähige und vor allem kollegiale Führung entwickelt, die nicht durch die Tötung einer oder sogar eines halben Dutzend Personen zerstört wird, und (b) ein sehr effektives Verfahren zur Ausbildung von Führungskräften, das bedeutet, daß auf jeden getöteten Führer ein Dutzend kommen, die in der Lage sind, die Führung zu übernehmen.“ Die Wirksamkeit dieses Prozesses wurde bei dem kompliziert geplanten und verheerenden Angriff der Hamas am 7. Oktober deutlich demonstriert.
Da es keine Strategie gibt, die so schlecht durchdacht ist, daß Amerika sie nicht übernehmen würde, sollte es nicht überraschen, daß sie im Laufe mehrerer verlorener Kriege unter einer Vielzahl von Euphemismen auf Attentate gesetzt haben. Das Phoenix-Programm in Vietnam, das mit Hilfe angeblich hochentwickelter Computerprogramme entwickelt wurde, tötete etwa 20.000 Menschen, ohne den Verlauf des Krieges zu beeinflussen oder Amerikas endgültige Niederlage hinauszuzögern. Nichtsdestotrotz war es das wichtigste Instrument, das in den Kriegen des 21. Jahrhunderts im Irak und in Afghanistan eingesetzt wurde und zu völlig vorhersehbaren Ergebnissen führte.
Die Erfahrung im Irak war in einer Hinsicht einzigartig: Sie brachte die einzige datengestützte Analyse der genauen Auswirkungen dessen, was in diesem Konflikt als „HVI“-Strategie (High Value Individuals) bezeichnet wurde. Wie ich in meinem Buch Kill Chain: The Rise of the High Tech Assassins (Der Aufstieg der High-Tech-Attentäter) beschrieben habe, hat im Jahr 2007 eine kleine, aber schlagkräftige Geheimdienstzelle in Bagdad, die dem ranghohen Befehlshaber der US-Armee im Irak, Ray Odierno, unterstellt war, über einen Zeitraum von fünf Monaten 200 Fälle untersuchte, in denen die Besatzungstruppen örtliche Anführer von Aufständischen getötet hatten, um herauszufinden, was dann geschah.
In jedem Fall stiegen die Angriffe auf amerikanische Truppen sofort an. Im Umkreis von drei Kilometern um die Operationsbasis der Zielperson nahmen die Angriffe in den dreißig Tagen nach der Tötung um vierzig Prozent zu. In einem Umkreis von fünf Kilometern stiegen sie immer noch um zwanzig Prozent. Der tote Anführer wurde in der Regel innerhalb von vierundzwanzig Stunden ersetzt – immer innerhalb von achtundvierzig Stunden. Der neue Anführer war fast immer kühner und aggressiver, er wollte Rache nehmen und sich beweisen. Es war klar, daß das Anvisieren der feindlichen Führung zu mehr toten Amerikanern führte. In einem Briefing für Odierno zeigte der für die Studie verantwortliche Analyst, Rex Rivolo, eine Folie, die eine unausweichliche Schlußfolgerung verdeutlichte: „Die HVI-Strategie, unsere Hauptstrategie im Irak, ist kontraproduktiv und muß neu bewertet werden.“
Die Strategie wurde nicht neu bewertet, sondern mit wütender Intensität im parallelen Afghanistankrieg angewandt, wo potentielle Opfer in einer „Joint Priorities Effects List“ aufgelistet und nach und nach eliminiert wurden, oft in nächtlichen Razzien von Todesschwadronen, die kaum einen nennenswerten Effekt hatten, außer die Verbitterung und Entschlossenheit der Taliban zu steigern. „Wir wollen so oder so sterben“, erklärte ein lokaler Taliban-Kommandeur, der nach dem Tod zweier Vorgänger kürzlich befördert wurde, im Jahr 2011. „Diejenigen, die zum Märtyrertod bestimmt sind, werden bei den Angriffen sterben, und der Rest wird ohne Angst weiterkämpfen.“
Was also treibt den mörderischen Drang der Drohnenführer und Nachtjäger an? Im Grunde offenbart sich darin eine mechanistische Herangehensweise an Konflikte, der Glaube, daß ein gegnerisches System durch das Ausschalten oder Entfernen einer vermeintlich lebenswichtigen Komponente aus dem Gleichgewicht gebracht werden kann.
Dasselbe Konzept hat die unsinnigen strategischen Bombenkampagnen der amerikanischen Kriege angetrieben, bei denen die Zielsucher „kritische Knotenpunkte“ im gegnerischen System identifiziert und zerstört haben, nur damit der Feind sich anpaßt und weiterkämpft. Vielleicht ist dies unvermeidlich; anders zu handeln würde voraussetzen, den Feind nicht als Maschine, sondern als Mensch zu sehen. – Soweit der Artikel von Andrew Cockburn.
Der israelische Krieg gegen Gaza hat nach drei Monaten Tod, Vertreibung und Zerstörung über die Palästinenser im Gaza-Streifen und in dem von Israel besetzten Westjordanland gebracht. Ziel Israels ist die „Vernichtung der Hamas“, das Ausmaß ist verheerend. Zehntausende Zivilisten wurden bei massiven Bombenangriffen getötet, tausende Tote sind unter den Trümmern verschüttet und können nicht geborgen werden. Offen wird über die Vertreibung der Palästinenser aus dem Gaza-Streifen in die Wüste Sinai in Ägypten nachgedacht.
Doch Israel hat nach drei Monaten Krieg außer Zerstörung und Tod nichts erreicht. Die Freiheit der verbliebenen Geiseln, die noch im Gaza-Streifen festgehalten werden, rückt mit jedem weiteren Tag des Krieges in weite Ferne. Drei der Geiseln, die ihren Aufpassern entfliehen konnten und sich mit bloßem Oberkörper, einer weißen Fahne und Hilferufen in Hebräisch israelischen Soldaten zeigten, wurden von denen, die sie eigentlich retten sollten, erschossen. Jedes weitere Wort hierzu erübrigt sich anhand der sichtbaren israelischen Kriegsverbrechen!
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.