Sendung 611 vom 27.04.2023
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Man sieht es allerorten, und es verdichtet sich. Die politische Rechte ist grün. Braun ist längst vergessen; Christlich-konservativ plagte die 1950er-Jahre, und National war gestern. Die heutige Rechte ist grün. Sie vereint dafür alle notwendigen Ingredienzen: Kriegsbegeisterung, Verbotskultur, geopolitischen und kulturellen Missionierungseifer, Affinität zum autoritären Staat und jede Menge erschaffene Feindbilder. Der Faschismus-Begriff ist für sie unpassend, steckte in diesem doch das Versprechen auf einen gemeinsamen Volkskörper mit entsprechender Abschottung nach außen, gepaart mit einer Betonung rassischer Überlegenheit. Das Gegenteil ist bei der neuen Rechten der Fall. Sie sagt es selbst, wofür sie steht: Weltoffenheit und die Betonung der Überlegenheit ihrer Werte bilden ein toxisches Gemisch, mit dem innere Repression und äußere Expansion gerechtfertigt werden.
Es war nicht zufällig ein grüner deutscher Außenminister, der im Verband mit den USA die europäische Nachkriegszeit beendete. Der Angriff der kurz zuvor auf 19 Mitglieder angewachsenen NATO-Allianz auf Serbien vom 24. März 1999 war der erste Feldzug des stärksten Militärbündnisses auf einen souveränen Staat in Europa nach 1945. Die Berliner rot-grüne Koalitionsregierung stellte dafür die deutsche Luftwaffe an die vorderste Front. Den jugoslawischen Zerfallsprozeß der 1990er-Jahre hatten die alten Christkonservativen noch mit dem Schlagwort der „nationalen Selbstbestimmung“ befeuert, nun drehte die Rechtfertigung für Krieg in Richtung einer wertebasierten grünen Begründung. Im Slogan „Bomben für Menschenrechte“ kam erstmals dieses neue, post-nationale Narrativ zum Einsatz. Anstatt die kosovo-albanische Seite wegen ihrer Ansprüche auf nationale Selbstbestimmung zu unterstützen, taten es grüne (und bald auch andere) Kriegstreiber um der Menschenrechte willen; daß diese von den Kosovo-Albanern als nationale Rechte betrachtet wurden, tat dem antinationalen grünen Gerede keinen Abbruch. Das Resultat war ohnedies dasselbe: die Zerstückelung Jugoslawiens, die 1991 begonnen hatte, wurde mit einem internationalen Truppenverband fortgesetzt, der Kosovo aus Serbien herausgelöst. Die Folgen dieses ersten großen Kriegsgangs in Europa seit 1945 bestimmen bis heute Leben und Politik am Balkan.
Mittlerweile hat die Kriegsbegeisterung auch den grünen Bodensatz erreicht, die Grünwähler stehen wie ein Mann hinter ihrer bellizistischen Außenministerin. Für die Zustimmung zum Krieg gegen Rußland bedurfte es nur weniger Wochen und der militärischen Intervention eines bereits zuvor als Feind ausgemachten Rußlands. Hatten die deutschen Grünen im Bundestagswahlkampf 2021 noch plakatiert, daß Waffenlieferungen in Kriegsgebiete mit ihnen nicht zu machen seien, zählten sie kurz darauf zu den heftigsten Einpeitschern, immer neuere und immer tödlichere Waffen gegen Rußland ins Feld zu führen. Selbst im neutralen Österreich sind es die ebenfalls an der Regierung – hier zusammen mit den Christkonservativen – beteiligten Grünen, die am lautesten das Feindbild Rußland pflegen und keine Gelegenheit verstreichen lassen, für härtere Sanktionen gegen möglichst alles Russische einzutreten.
Die Schaffung von Feindbildern gehört seit jeher zum Repertoire rechter Politik. Damit können das eigene Narrativ, die eigene Sicht auf die Welt von anderen Erzählungen oder Politiken perfekt abgegrenzt und diese anschließend bekämpft werden. In den Anfängen der grünen Bewegung sprachen sich deren GründerInnen Petra Kelly und Gert Bastian explizit gegen solche Praktiken aus. Ihr Einsatz in der Friedensbewegung Anfang der 1980er-Jahre kritisierte ja gerade die militärische Aufrüstung der eigenen nordatlantischen Allianz, die sowohl gegen die Sowjetunion als auch gegen mißliebige Regime im Globalen Süden gerichtet war.
Neben dem Feindbild Rußland pflegen Grüne auch ein türkisches und ein chinesisches Feindbild. Beiden Ländern wird eine autoritäre Staatsführung vorgeworfen. Das hat zwar seine Richtigkeit, sollte aber nicht zu zwanghafter Missionierung führen, um so weniger, als autoritäre Maßnahmen wie die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit gerade auch in der EU, insbesondere in Deutschland, um sich greifen. Zensur ist spätestens mit dem deutschen Verbot des russisch finanzierten Senders RT.de Anfang Februar 2022 – drei Wochen vor dem Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine – zu einer staatlichen Praxis geworden, die von den Grünen angeschoben wurde. Überall, wo es darum geht, dem eigenen eng gefaßten Wertekanon entgegenstehende Positionen auszuschalten, stehen Grüne in vorderster Reihe. Das war beim Rausschmiß des weltbekannten Dirigenten Waleri Gergijev aus der Münchner Philharmonie so wie bei unzähligen Verboten palästinensischer Veranstaltungen und Gedenktage oder bei Auftrittsverboten von mißliebigen Historikern wie Daniele Ganser oder Journalisten wie Ken Jebsen. Cancel culture ist zum Markenzeichen moderner rechter Politik geworden; und die Grünen treiben dieses Ausmerzen auf die Spitze.
Die neue, grüne Rechte ist – wie die alte – von Kapitalinteressen getrieben. Die Änderung der Zusammensetzung führender Kapitalgruppen bringt es mit sich, daß sich das Kapital nach neuen Verbündeten in der Gesellschaft umsieht, die seine Interessen vertreten und diese in einen möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens einbauen. Die schleichende, aber stetig voranschreitende Ablöse des industriellen durch ein kybernetisches Zeitalter, wie sie die Wirtschaftshistorikerin Andrea Komlosy in ihrem Buch „Zeitenwende“ beschreibt, bringt neue Leitsektoren hervor. Dazu gehören Biotechnologie, Pharma- und Kontrollindustrie. Auch alle anderen Sektoren setzen auf immer mehr selbststeuernde Produktionsweisen mit neuen Techniken wie Nano, Robotik, additive Produktionsverfahren, kognitive Techniken und Künstliche Intelligenz. Personalisierte Produktentwicklung und optimierende Dienstleistungen – nicht nur im medizinischen Sektor – stellen neue Verfahren dar, die das Massenhaft-Serielle ablösen.
Der dabei ausgelöste – und, wie wir in Corona-Zeiten gesehen haben, vom Staat massiv unterstützte – Akkumulationsprozeß benötigt eine neue ideologische Grundlage für seine Rechtfertigung. Altes rechtes Gedankengut ist dabei hinderlich. Die Historikerin Tove Soiland hat darauf hingewiesen, daß die bekannten rechten Ideologien, die auf Rassendiskursen, konservativer Werthaltung und Anti-Egalitarismus beruhen, „für die Erfordernisse der heutigen Kapitalakkumulation dysfunktional geworden sind.“ Neue Ideologen braucht das Land. In der von identitätspolitischen, besser: identitären Werten getränkten grünen Weltsicht scheint der ideale Partner für den herbeigesehnten kybernetischen Aufschwung gefunden. Ihn „links“ zu nennen, weil er Elemente einer gesellschaftskritischen Kultur beibehalten hat, wäre falsch, denn er beinhaltet, wie eingangs erwähnt, alle Ingredienzen einer rechten Praxis: Haß auf den Feind bis zur Kriegsbegeisterung, den Willen zur Ausmerzung anderer Meinungen sowie die Bereitschaft, im zunehmend autoritären Staatsgefüge die entsprechende Verantwortung, mehr noch: die Vorreiterrolle zu übernehmen.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.