Sendung 552 vom 15.07.2021
Hallo Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Am 2.Juli um drei Uhr morgens zogen die US-Soldaten vom Luftwaffenstützpunkt Bagram ab, ohne die afghanischen Regierungstruppen zu benachrichtigen, die sie ersetzen sollten. Bei ihrer Abfahrt schalteten sie auch den Strom ab, woraufhin eine ganze Armee von Plünderern den Stützpunkt belagerte.
Dieser unwürdige Abzug symbolisiert treffend das ganze Debakel, das 20 Jahre Krieg und Besatzung der USA in Afghanistan angerichtet haben. Die Bagram Air Base, die in den 1950er Jahren vom sowjetischen Militär gebaut und von den Amerikanern stark erweitert wurde, diente als Hauptquartier des zwei Jahrzehnte andauernden verbrecherischen Angriffskriegs des US-Imperialismus.
Hunderttausende amerikanische Soldaten und Angestellte durchliefen den Stützpunkt im längsten Krieg der US-Geschichte. Von Bagram aus führten Kampfflugzeuge Bombenangriffe durch, die zigtausend afghanischen Zivilisten das Leben kosteten. Von hieraus starteten die Killerkommandos der Spezialeinheiten ihre Razzien, bei denen ganze Familien ausgelöscht wurden.
Auf dem Stützpunkt befand sich außerdem das Gefangenenlager Parwan, in dem Tausende mutmaßliche Aufständische inhaftiert und „Erweiterten Verhörtechniken“, d.h. Folter, ausgesetzt wurden. Die Häftlinge wurden geschlagen, von Hunden angegriffen, an die Decke gefesselt, sexuell gedemütigt, mit Schlafentzug gequält und in einigen Fällen zu Tode gefoltert.
Der Rückzug aus der Bagram Air Base ereignete sich vor dem Hintergrund des unaufhaltsamen Vorstoßes der Taliban gegen die afghanischen Sicherheitskräfte. Die Taliban haben innerhalb weniger Wochen etwa ein Viertel der Provinzen überrannt – zusätzlich zu den Gebieten, die sie bereits kontrollierten. Die Regierungssoldaten übergaben Stützpunkte und Lager mit US-Waffen und einige schlossen sich sogar den islamistischen Kämpfern an. Am Montag vergangener Woche flohen mehr als 1.000 Regierungssoldaten über die nordöstliche Grenze Afghanistans in die ehemalige Sowjetrepublik Tadschikistan.
Dieser Rückschlag scheint das Worst-Case-Szenario, dass Kabul innerhalb von sechs Monaten nach einem US-Abzug fallen könnte. Die Krise hat einen erbitterten Streit in Washington über die Frage ausgelöst, „wer Afghanistan verloren“ habe. Rechte Republikaner verurteilen die Biden-Regierung, während sie gleichzeitig ihre große Sorge über die Rechte der afghanischen Frauen verkünden. Bidens Unterstützer wiederum haben darauf hingewiesen, dass es die Trump-Administration war, die im Februar 2020 in Katar das Abkommen mit den Taliban unterzeichnete, das den Abzug der USA vorsieht.
Die Realität ist, dass die Vereinigten Staaten Afghanistan verloren haben, weil sie das Land zwei Jahrzehnte lang quasi unter kolonialer Besatzung gehalten haben, was zu heftigem Widerstand und Wut in der afghanischen Bevölkerung geführt hat.
Nach vorsichtigen Schätzungen sind 175.000 Zivilisten in diesem Krieg getötet worden. Rechnet man jene hinzu, die aufgrund der Massenvertreibung und der allgemeinen Zerstörung der Gesellschaft sterben, steigt die Zahl zweifellos auf weit über eine Million.
Die US-Intervention begann mit einem schrecklichen Kriegsverbrechen: der Massenexekution von über 2.000 Taliban-Gefangenen, die in Schiffscontainern erstickt sind oder erschossen wurden, nachdem sie sich im November 2001 den US-Spezialkräften und ihren Stellvertretertruppen der Nordallianz ergeben hatten. In dem folgenden Krieg, zynisch „Operation Enduring Freedom“ genannt, reihten sich unzählige solcher Verbrechen gegen die afghanische Bevölkerung aneinander. Nach vorsichtigen Schätzungen sind allein in den letzten fünf Jahren etwa 4.000 afghanische Zivilisten bei Luftangriffen der USA und ihrer Verbündeten getötet worden, darunter fast 800 Kinder.
Die leeren Versprechen, die US-Besatzung würde dem afghanischen Volk Demokratie und Wohlstand bringen, haben sich als Betrug entlarvt. Dem Marionettenregime in Kabul, das aus gefälschten Wahlen und Deals mit kriminellen Warlords hervorgegangen ist, fehlt es an jeglicher Legitimität. Nach 20 Jahren US-Hilfe rangiert Afghanistan auf dem UN-Index der menschlichen Entwicklung immer noch auf Platz 169 (von 189 Ländern), hinter den meisten Ländern in Afrika südlich der Sahara.
Die USA haben 143 Milliarden Dollar für den „Wiederaufbau“ Afghanistans ausgegeben – inflationsbereinigt übersteigt diese Summe sämtliche Ausgaben des Marschallplans für den Wiederaufbau Westeuropas nach dem Zweiten Weltkrieg.
Diese Gelder haben weder zu einer signifikanten Verbesserung des Lebens der überwiegenden Mehrheit der Afghanen noch zu einer Entwicklung der grundlegenden Infrastruktur geführt. Statt dessen flossen sie vor allem in die Taschen einer der korruptesten Kleptokratien der Welt. Dazu gehört auch die Militärführung, die den Sold und die Versorgungsgüter der Soldaten gestohlen hat, was erheblich zum Niedergang der Sicherheitskräfte beitrug.
Die Behauptung, der Krieg sei geführt worden, um die amerikanische Bevölkerung vor dem al-Qaida-Terrorismus zu schützen, ist eine glatte Lüge. Auch nachdem Osama bin Laden schon krank und isoliert war, unter Hausarrest des pakistanischen Militärgeheimdienstes ISI stand und schließlich 2011 von einem Navy-Seal-Team hingerichtet wurde, ging der Krieg noch mehr als neun Jahre weiter. In dieser Zeit finanzierte und bewaffnete Washington al-Qaida-Kräfte für seine Regimewechsel-Kriege in Libyen und Syrien.
Außerdem begannen die tragischen Erfahrungen der afghanischen Bevölkerung mit dem US-Imperialismus nicht erst 2001. Schon über 20 Jahre vorher hatte die CIA in Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien und Pakistan islamistische Kämpfer aus der ganzen muslimischen Welt für einen Stellvertreterkrieg gegen die sowjetischen Streitkräfte mobilisiert, die eine säkulare Regierung in Kabul unterstützten. Zu den engsten Mitarbeitern der CIA gehörte bin Laden, der mit der Unterstützung des US-Geheimdienstes die Terrororganisation al-Qaida gründete.
Es wird überdeutlich, dass die Auseinandersetzungen um den Afghanistan-Abzug nicht der Angst vor Terrorismus, geschweige denn der Sorge um die Rechte der Frauen entspringen. Es geht in Wirklichkeit um die geostrategischen Interessen des US-Imperialismus, vor allem dessen verschärften Kurs gegen China.
Die USA wollten „neue politische Verhältnisse schaffen, in deren Rahmen sie ihre Hegemonie ausüben können“ – und zwar nicht nur in Afghanistan, sondern in der ganzen zentralasiatischen Region, wo sich „die zweitgrößten nachgewiesenen Vorkommen an Erdöl und Erdgas weltweit“ befinden.
Übrig geblieben sind Leid, Chaos und Verzweiflung, wie immer in Bezug auf die USA.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder!