Sendung 522 vom 24.09.2020
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge in Griechenland, darunter diejenigen auf den Ägäisinseln, sind von Kriegsschauplätzen westlicher Mächte geflohen, werden aber von Deutschland und der EU ausgesperrt. Mehr als drei Fünftel aller Flüchtlinge, die im vergangenen Jahr in Griechenland registriert wurden, stammen aus vier Ländern, in denen die Bundeswehr operiert (Afghanistan, Irak, Syrien) oder die Vereinigten Staaten Drohnenangriffe durchführen (Pakistan).
Auf Lesbos sind insbesondere Flüchtlinge vom Hindukusch präsent. Dies entspricht den Resultaten einer aktuellen, an einer US-Elitehochschule (Brown University) erstellten Studie, der zufolge die Kriege der USA und ihrer Verbündeten, darunter Deutschland, in den vergangenen zwei Jahrzehnten mindestens 37 Millionen Menschen auf die Flucht getrieben haben. Nur der Zweite Weltkrieg hat mehr Flüchtlinge produziert als sie.
Es ist viel mehr als eine Schande oder ein Skandal: Berlin und Brüssel stellen hohe Summen zur Verfügung, um die Grenzen gegen unerwünscht Einreisende abzuschotten. Das Zugeständnis, zu dem sich Berlin nach dem Brand im Lager Moria bereit findet: die Aufnahme von nicht mehr als 1.700 Menschen.
Darüber hinaus läuft seit Donnerstag vergangener Woche die Vertreibung Tausender Menschen, die sich an Straßenrändern und auf Parkplätzen der griechischen Insel Lesbos rund um das abgebrannte Lager Moria provisorisch eingerichtet hatten. Wie die in Dresden ansässige Hilfsorganisation „Mission Lifeline“ auf Twitter von vor Ort berichtete, würden die Gefangennahmen, nicht anders ist die Internierung in einem mit Stacheldrahtzaun bewehrten Areal zu bezeichnen, schrittweise durchgeführt, „damit die Aufseher im Lager nicht überfordert werden“.
Die Anwesenheit von Presse und NGO wurde unterbunden, und auch medizinischem Personal war zunächst der Zugang verweigert worden. Geflüchtete versteckten sich demnach vor der in schwerer Ausrüstung angerückten Polizei in Wäldern, um der Internierung zu entgehen.
Neben der Angst vor einer erneut ausweglosen Situation schreckt die Betroffenen, dass sich das neue Camp neben dem ebenfalls überfüllten „Vorzeigelager“ von Kara Tepe, wenige Kilometer nördlich der Inselhauptstadt Mytilini, auf einem früheren Militärschießplatz befindet. So kursierten in „sozialen Medien“ bereits Bilder von Insassen, unter denen sich auch zahlreiche Kinder befinden, mit gefundenen Munitionsresten. Bekannt ist bisher nur, dass das noch nicht fertiggestellte Lager weit unter Standard ist und es z. B. keine Duschen gibt.
Auch juristischer Beistand wird verwehrt. Die griechische Rechtsanwältin Elli Kriona bestätigte auf einer Onlinepressekonferenz: „Die Ängste der Menschen hinsichtlich des Lagers sind absolut berechtigt.“ Laut Angaben des Arztes Gerhard Trabert gegenüber dpa dürften sie nichts mitnehmen, alles werde ihnen abgenommen. Bis Mittwoch waren denn auch nur 1.200 Personen „freiwillig“ in das für 5.000 Menschen ausgelegte Areal gezogen – durch das Feuer sind jedoch rund 12.000 Geflüchtete obdachlos.
Die für die Zustände verantwortliche EU palavert indes weiter. Am Montag hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen großzügig angekündigt, Vorschläge für eine „EU-Asylreform“ bereits eine Woche früher als geplant am kommenden Mittwoch zu präsentieren. Am Dienstag forderte sie in ihrer „Rede an die Union“ dann erneut, dass „ganz Europa seinen Teil leisten“ muss, um gleich klarzumachen, wohin die Reise gehen soll: ein unter EU-Kontrolle stehendes Flüchtlingslager auf Lesbos. „Asyl- und Rückführungsverfahren“ müssten „enger verknüpft werden“ – mehr Abschiebung als Asyl also –, und natürlich müsse „der Schutz der Außengrenzen verbessert werden“.
Zunächst einmal aber durfte das ohnehin machtlose EU-Parlament – am Donnerstag verdeutlicht durch die Nichtanwesenheit der sonst stets beteiligten EU-Ratspräsidentschaft, derzeit Berlin – dazu debattieren. Für Innenkommissarin Ylva Johansson habe „ein neues dauerhaftes und angemessenes Center“ Priorität, und zwölf EU-Staaten hätten ja bereits „mehr als 100.000 Güter“ geliefert.
Zudem habe „ein Großteil“ der derzeitigen Flüchtlinge „keinen Anspruch auf internationalen Schutz“. Eine Lüge. Allein zwei Drittel der Geflüchteten auf Lesbos sind laut dem griechischen Minister für Bürgerschutz, Michalis Chrysochoidis, aus Afghanistan, denen „Asyl gewährt werden wird“, wie ihn die Zeitung Kathimerini am Mittwoch zitierte. Sechs junge Afghanen aus Moria sind unterdessen von den griechischen Behörden der „Bildung einer kriminellen Vereinigung und Brandstiftung“ angeklagt worden.
Das Thema Krieg und Frieden spielte auch bei der diesjährigen Verleihung der „Big Brother Awards“ eine Rolle. Es war dem Bürgerrechtler Rolf Gössner vorbehalten, am Freitag abend dafür zu sorgen, dass auch die deutsche Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD – allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) – bei der Preisverleihung nicht leer ausging, sondern den diesjährigen Award in der Kategorie „Politik“ verliehen bekam.
Der Rechtsanwalt und Publizist, der zudem langjähriges Vorstandsmitglied und jetziges Kuratoriumsmitglied der „Internationalen Liga für Menschenrechte“ ist, zeichnete die Bundesregierung „wegen ihrer rechtlichen und politischen Mitverantwortung für den völkerrechtswidrigen US-Drohnenkrieg, der über die Datenrelais- und Steuerungsstation der US-Militärbasis Ramstein in der Pfalz abgewickelt wird“, aus.
Von dort aus würden „bewaffnete Drohneneinsätze zur Ausforschung von Zielpersonen und zu illegalen Hinrichtungen angeblicher Terroristen im Nahen und Mittleren Osten gesteuert“, denen „regelmäßig unbeteiligte Zivilpersonen zum Opfer fallen“, so Gössners Anklage. Und weiter: „Letztlich haben wir es also mit einem Mordprogramm zu tun, das die US-Regierung unter Präsident Georg W. Bush nach 9/11 begonnen hatte und das dann unter den Präsidenten Barack Obama und Donald Trump noch erheblich ausgeweitet wurde.“
Die Bundesregierung trage an den Drohnenmorden eine „rechtliche und politische Mitverantwortung, weil sie nichts gegen dieses mörderische Treiben auf deutschem Staatsgebiet unternimmt“. Die Militärbasis Ramstein sei „keineswegs exterritoriales Gebiet, sondern liegt im Geltungsbereich des Grundgesetzes – auch wenn de facto Grundgesetz und Völkerrecht hinter den Toren Ramsteins ihre Gültigkeit verlieren“, erläuterte der Jurist.
Außerdem habe die Bundesregierung den „potentiell betroffenen Menschen gegenüber eine gesetzliche Pflicht zu handeln – juristisch ausgedrückt: eine Garantenpflicht“, erklärte Gössner, der für sein vielseitiges Engagement am 10. Oktober mit dem Hans-Litten-Preis der „Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen“ geehrt werden wird. Mit diesem Preis möchte die Vereinigung „die jahrzehntelange berufliche und rechtspolitische Arbeit des Kollegen Gössner für die Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat auszeichnen“, heißt es in der Begründung. Auszeichnungswürdig sei „insbesondere seine investigative Publizistik zur politischen Justiz, zu den Justizopfern des Kalten Krieges und zum Überwachungsstaat“.
Auch das musste einmal gesagt werden. Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.