Sendung 512 vom 25.06.2019
Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer.
In der Sprache der israelischen Besatzungsmacht handelt es sich bei den laufenden Plänen zur Annektierung der Gebiete im Westjordanland eigentlich um die Erweiterung der Souveränität Israels. Da keine israelische Regierung bisher akzeptiert hat, dass es sich bei den 1967 besetzten Gebieten um eine Besatzung handelt, bringt diese Sprachregelung nichts anderes als die Kontinuität der zionistischen Begründung für die Kolonisierung Palästinas zum Ausdruck, nach der dieses Territorium von Gott für das auserwählte jüdische Volk reserviert sei.
Die nach drei Wahlen zustande gekommene Netanyahu-Gantz-Koalition hat sich schneller auf diese Vorgehensweise geeinigt, als Gegner und Befürworter der Annexion in- und außerhalb der Region geglaubt hätten. Nachdem die blau-weiße Liste von Gantz sich bei den Wahlen im letzten Jahr als links-demokratische Alternative zu Netanyahu inszenierte, zeigt sie seit dem Zustandekommen der Regierungskoalition unverhohlen ihr Gesicht. Das mag der Liste einige Anhänger gekostet haben, aber viel wichtiger war es, eine stabile Regierung herzustellen, solange Trump noch in den USA an der Macht ist. Mit dessen Rückendeckung für den weiteren Bruch des internationalen Rechts kann sicher gerechnet werden. Ob die Demokraten kurz- oder mittelfristig die gleiche Politik mit der gleichen Härte durchsetzen würden, ist zumindest fraglich. Da die Präsidentschaftswahlen in den USA im November dieses Jahres anstehen, steht sowohl Trump unter Druck, seine pro-zionistische evangelikale Wählerschaft zufriedenzustellen, als auch die neue Regierung in Israel, in dieser Zeit Fakten zu schaffen, die bei einer möglichen Wahlschlappe Trumps nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
Nach den noch nicht konkretisierten Plänen sollen die besetzten Gebiete in der Westbank nach und nach Israel angegliedert werden. Millionen dort lebende Palästinenserinnen und Palästinenser werden eine weitere Entrechtung erfahren. Das Militärrecht kann bei Aufhebung des Besatzungsstatus nicht mehr angewendet werden. Die Regierung hat schon ausgeschlossen, dass die Palästinenser die israelische Staatsbürgerschaft erhalten werden, ganz abgesehen davon, ob die Palästinenser ein solches „Angebot“ annehmen würden. Welcher legale Status dann für sie gelten soll, ist offen. Die Palästinensische Autonomiebehörde hat zwar alle Abkommen und jede Zusammenarbeit mit Israel und den USA aufgekündigt; die Frage aber bleibt, wie das in der Praxis umgesetzt wird. Mit dem Oslo-II-Vertrag wurden im Jahr 1995 mehr als 70 Prozent der Westbank unter israelische Kontrolle gestellt. In dieser sogenannten Zone C hat Israel volle militärische und administrative Befugnisse. In diesem Gebiet befinden sich auch fast alle, nach dem Völkerrecht immer noch illegalen, Siedlungen, in denen mittlerweile eine halbe Million Menschen leben. Alle ökonomischen und sozialen Belange müssen in der Westbank durch israelische Behörden abgewickelt werden. De facto wurde also schon mit den Abkommen von Oslo die israelische Herrschaft über die Westbank besiegelt. Seitdem hat die Besatzungsmacht sich das fruchtbare Land, dazu zählt vor allem das Jordantal, zwecks Ausbeutung und Bewirtschaftung unter die Nägel gerissen. Die Enteignung und Vertreibung der Palästinenser auf den international anerkannten palästinensischen Gebieten, unter anderem durch die Zerstörung von Häusern und seit Jahrhunderten bewirtschafteten Feldern, gehört seit 1967 zum verbrecherischen Alltag israelischer Expansionspolitik. Nun soll durch die Annexion das Verbrechen quasi legalisiert werden. Es bleibt abzuwarten, ob es gelingt, die Widerstandskräfte in und außerhalb der Region gegen die aggressiven Vorstöße zu mobilisieren.
Die seitens einzelner EU-Staaten und auch von Deutschland zu hörenden kritischen Töne sind kaum als ernsthafte Gegnerschaft zu den Annexionsplänen zu verstehen. Sie sind nur Bestandteil der alten Taktik, letztlich die palästinensische Seite für das Handeln Israels verantwortlich zu machen. Nach der anfänglichen Kritik an der Annexion werden auch in der BRD schon erste Stimmen laut (wie die des FDP-Fraktionsvorsitzenden Alexander Graf Lambsdorff oder vom Grünen Volker Beck jeweils im Deutschlandfunk-Interview vom 10. und 11. Juni), die die palästinensische Seite für die Annexionen verantwortlich machen, weil diese den Verhandlungstisch verlassen habe und zu keinem Kompromiss bereit sei. Das Handeln Israels ist dieser Vorstellung nach nichts anderes als eine notwendige Sicherheitspolitik und eine realistische Lösung. Das ist seit 1947 die gleiche Taktik, die mit offener Dreistigkeit wiederholt wird. Das Land wird nach und nach mit Gewalt besetzt, die einheimische palästinensische Bevölkerung wird vertrieben, die Einwanderung aus dem Ausland mit horrenden Summen finanziert. Keine Nation würde eine solche Aggression als Grundlage für Verhandlungen ansehen. Vielmehr bietet sie von Anfang an jede Legitimation für Widerstand. Wie dieser Widerstand gegen die Besatzungs- und Einverleibungspolitik aussehen kann, wird sich noch zeigen müssen.
Ein weiterer Beleg dafür, dass die deutsche Regierung wie auch andere europäische Regierungen hinter der israelischen Politik stehen, zeigt sich an der Repression und Diffamierung der Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf. Verbote, Schikane, Verfolgung und Hetze gegen die Palästinasolidarität gehören hierzulande fast zum Alltag: In fast allen Städten werden der Bewegung Räume und Möglichkeiten entzogen. Wer sich – wie zuletzt der bekannte Professor Mbembe – mit Palästina solidarisiert, wird öffentlich diffamiert und von Veranstaltungen ausgeladen. Pro-zionistische Fußtruppen versuchen die Bewegung überall, wo sie können, einzuschüchtern. Die Instrumentalisierung des Kampfes gegen Antisemitismus und des Gedenkens an den Holocaust, was deren Relativierung und Schwächung bedeutet, ist ihnen dabei als Mittel nicht zu schade. In diesem Zusammenhang solidarisieren wir uns mit all denjenigen, die sich nicht von diesen Angriffen einschüchtern lassen – seien sie seitens staatlicher Stellen oder reaktionärer Gruppen wie den so genannten Antideutschen, den Pro-Zionisten und Neuen Rechten. Junge antifaschistische Gruppen erkennen diese Manöver und lassen ihren Kampf gegen die Reaktion nicht von nationalistischen Interessen spalten: Der Kampf gegen den Faschismus hierzulande wird immer enger geknüpft an die internationale Solidarität. In diesem Zusammenhang solidarisieren wir uns aus aktuellem Anlass mit der Antifaschistischen Jugend Augsburg in ihrem Kampf gegen die illegitimen Angriffe und falschen Vorwürfe, denen sie seitens des „Jungen Forums DIG HG Augsburg“ ausgesetzt sind.
Wie auch immer die nächsten konkreten Schritte der Annexion ausfallen; die Widerstandskräfte in Palästina und jene in Solidarität mit dem palästinensischen Befreiungskampf werden sich neu sortieren und aufbauen müssen. Wer seine Existenz auf Kolonisierung und Unterdrückung aufbaut, baut seine Herrschaft auf Zeit.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.