Sendung 471 vom 11.04.2019
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
In der heutigen Sendung möchten wir einen offenen Brief zitieren, der in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde und den wir hier bekannt machen wollen.
Denk an Deine Tochter, liebe Andrea
Offener Brief an die SPD-Vorsitzende Nahles
Otto Köhler, SPD
Liebe Andrea,
ich mache mir Sorgen um Ella Maria. Und – nur noch ein wenig – auch um unsere Partei, die SPD. Seit ich vor einem Jahr im Rahmen der Aktion »Tritt ein, sag Nein« wieder Mitglied wurde – wie schon einmal von 1952 bis 1962 –, erlebe ich nichts als Kummer und Frust. Das hätte ich vorhersehen müssen. Wiedereingetreten bin ich, um die parteischädigende große Koalition zu verhindern. Daraus wurde nichts. Wir sind seither nur noch so stark wie die AfD.
Verbindlich geeinigt haben sich Christenunion und SPD im Groko-Vertrag, keine Waffen an Länder zu liefern, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Und das gilt auch für europäische Gemeinschaftsprojekte. Aber nur für sechs Monate. Und nicht für Waffenlieferungen, an denen der deutsche Anteil einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreitet – das ist gut sozialdemokratisch. Die Saudis lösten das Problem der Khashoggi-Leiche in ihrer türkischen Botschaft: Sie zerstückelten sie und brachten sie in Teilen, die einen bestimmten Prozentsatz nicht überschreiten, heimlich aus ihrer Botschaft. Mohammed bin Salman ist ein besserer Sozialdemokrat, als ich es je zu werden vermag. Und Du, liebe Andrea, bist es längst auch.
Ich bin selbst schuld. Als ich eintrat, hatte ich versäumt zu recherchieren, was Lars Klingbeil war, bevor er unser Generalsekretär wurde: Rüstungslobbyist als Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik. Dazu Mitglied des Förderkreises Deutsches Heer. Auch mit der entsprechenden »Gesellschaft für Sicherheitspolitik« ist er gut vernetzt – Dich stört das nicht, liebe Andrea. Aber ich soll immer noch Euer »lieber Otto« sein, wie selbst Genosse Klingbeil mich in Euren Briefen anredet.
Liebe Andrea, ich hatte übersehen, dass ich Mitglied der internationalen Schriftstellervereinigung PEN bin. Und das ist mit einer Mitgliedschaft in der SPD unvereinbar. 2014 stellte ich auf der Versammlung des Deutschen PEN den Antrag, dass wir, die deutschen Schriftsteller und Publizisten – durch das Beispiel unserer Vorgänger im Ersten Weltkreig gewarnt –, uns weigern, »in den Dienst jeglicher Kriegspropaganda zu treten«. Unser damaliger Präsident Josef Haslinger schaltete sich ein, eine solche gesonderte Feststellung sei nicht nötig, weil unsere internationale Satzung das ohnedies verbietet.
Bis zu diesem Montag hatte ich damit kein Problem. Aber dann kam Deine Fröhlichkeit, liebe Andrea: »Aus unserer Sicht können wir sehr froh sein, dass wir in Deutschland eine Parlamentsarmee haben. Das heißt auch, dass Soldatinnen und Soldaten an den Schulen willkommen sind.«
Damit rügst Du als SPD-Vorsitzende einen Beschluss des Berliner Landesparteitags vom Samstag, der »militärischen Organisationen untersagt, an Berliner Schulen für den Dienst und die Arbeit im militärischen Bereich zu werben«. So soll aus überreichlich gegebenem Anlass das Berliner Schulgesetz ergänzt werden.
Minderjährige seien in einem Alter, in welchem sich zentrale Lebens- und Wertvorstellungen erst noch entwickeln müssten. »Dementsprechend anfällig sind sie für militärische Propaganda und Verharmlosung der realen Gefahren eines militärischen Einsatzes«, heißt es zur Begründung. Und: »Für Töten und Sterben macht man keine Werbung.«
Du, unsere Große Vorsitzende, sprachst ex cathedra: Der Beschluss sei eine Einzelstimme in der Partei. »Die große Mehrheit der SPD sieht das völlig anders.« Das war ein Befehl. Die Funktionäre der Berliner SPD schworen ab: »Jeder Schule steht es frei, auch die Bundeswehr zu sich einzuladen.«
Da will ich nicht länger stören. Aber zuvor noch ein Wort an Dich, liebe Andrea. Deine Tochter Ella Maria ist acht Jahre alt. Bald kommen die Werber Deiner »Parlamentsarmee« auch in ihre Klasse. Soll Ella Maria als Soldatin Deiner Parlamentsarmee vielleicht noch in Afghanistan sterben oder vielleicht schon in Venezuela für unseren Präsidenten Guaidó morden?
Ich muss endlich Schluss damit machen. – Sehr geehrte Frau Nahles, ich erkläre meinen Austritt aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Mein letzter Wunsch: Frau Nahles, kümmern Sie sich um die Zukunft Ihrer Tochter, damit sie in den Kriegen, die noch kommen werden, nicht als von Ihnen bereitgestelltes Kanonenfutter umkommt.
Empfangen Sie bitte den Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung
Ihr sehr ergebener
Otto Köhler
Und wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.