Sendung 454 vom 11.10.2018
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Am Dienstag vergangener Woche drohte die US-Regierung öffentlich und in einer derart direkten Weise mit einem Militärschlag gegen Russland, wie man es seit dem Höhepunkt des Kalten Kriegs nicht mehr gehört hat.
Die Botschafterin der USA bei der Nato, Kay Bailey Hutchison, erklärte bei einer Pressekonferenz im Nato-Hauptquartier in Brüssel, falls Russland die Entwicklung seines neuen Marschflugkörpers nicht einstelle, sei das Pentagon dazu bereit, diesen „auszuschalten“. Washington behauptet, die neue Rakete würde gegen den Vertrag über nukleare Mittelstreckensysteme (INF) von 1987 verstoßen.
Auf die Frage eines Reporters, was die USA gegen die neuen russischen Raketen tun wollten, antwortete Hutchison wörtlich: „Die Gegenmaßnahme wäre, die Raketen auszuschalten, mit deren Entwicklung Russland gegen den Vertrag verstößt.“
Sie erklärte weiter: „Wir würden es natürlich vorziehen, wenn wir sie zum Rückzug bewegen könnten. Doch ich glaube, die Frage lautete, was wir tun würden, wenn es soweit kommt, dass das System in Betrieb genommen werden kann. Und an diesem Punkt würden wir dann nach einer Möglichkeit suchen, eine Rakete auszuschalten, die jedes unserer Länder in Europa oder Alaska auf dem amerikanischen Kontinent treffen könnte.“
Um ihre Drohung zu unterstreichen, erklärte die amerikanische Botschafterin, dass Russland „in Kenntnis“ gesetzt worden sei. Dies ist dieselbe Sprache, mit der Washington auch die Militäraktionen gegen Syrien und den Iran angedroht hat.
Die ehemalige republikanische Senatorin aus Texas, die letztes Jahr zur Botschafterin bei der Nato ernannt wurde, sprach von dem Marschflugkörper, der vom russischen Militär als Novator 9M729 bezeichnet wird. Moskau hat immer wieder erklärt, die Rakete verstoße nicht gegen die Einschränkungen durch den INF-Vertrag. Dieser verbietet nur die Produktion von bodengestützten Mittelstreckenraketen, die Ziele in einer Entfernung zwischen 500 und 5.500 Kilometern erreichen können.
Hutchisons Äußerungen im Vorfeld eines Treffens der Nato-Verteidigungsminister haben die bereits gefährlichen Spannungen mit Russland weiter verschärft und in ganz Europa und der Welt Ängste ausgelöst.
Der Vorsitzende der amerikanischen Organisation Arms Control Association, Daryl Kimball, erklärte: „Wenn sie sagt, dass wir die Raketen zerstören werden, sollten wir unser Ziel nicht auf diplomatischem Weg erreichen können, dann ist das offensichtlich gefährlich und könnte einen Krieg auslösen, in dem Atomwaffen zum Einsatz kommen könnten. Ich kann mich an nichts Vergleichbares in der Zeit seit dem Kalten Krieg erinnern.“
Moskau reagierte wütend auf Hutchisons unverantwortliche Drohung.
Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, erklärte vor der Presse: „Man gewinnt den Eindruck, dass diejenigen, die solche Äußerungen von sich geben, sich ihrer Verantwortung und der Gefahr von aggressiver Rhetorik nicht bewusst sind. Wer hat diese Frau dazu ermächtigt, solche Vorwürfe zu erheben? Die amerikanische Bevölkerung? Weiß der durchschnittliche Amerikaner, dass er mit seinem Geld für so genannte Diplomaten bezahlt, die sich so aggressiv und destruktiv verhalten?“
Und was noch wichtiger ist, weiß die amerikanische Bevölkerung überhaupt, dass ihre Regierung mit einem Präventivkrieg gegen die Atommacht Russland droht, der alles Leben auf der Erde auslöschen könnte? Die amerikanischen Medien konzentrieren sich vielmehr auf die endlosen Vorwürfe über das angebliche jugendliche Fehlverhalten des nominierten Obersten Richters Brett Kavanaugh. Die Kriegsdrohungen haben sie dagegen praktisch ignoriert.
Washington hat Russland zwar mehrfach vorgeworfen, es habe gegen den INF-Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion von 1987 verstoßen. Beweise für diese Anschuldigungen konnte Washington jedoch bislang nicht vorlegen.
Dass die Vorwürfe der USA haltlos sind, verdeutlichte eine Erklärung von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg vom Dienstag. Er erklärte vor der Presse: „Alle Verbündeten sind sich einig, dass es die plausibelste Einschätzung ist, dass Russland gegen den Vertrag verstößt. Daher ist es dringend notwendig, dass Russland in substanzieller und transparenter Weise auf diese Bedenken reagiert.“
Moskau hat seinerseits den USA vorgeworfen, sie hätten durch die Stationierung des Aegis-Ashore-Raketenabwehrsystems in Rumänien und der Vorbereitung einer ähnlichen Stationierung in Polen gegen den Vertrag verstoßen. Das Pentagon besteht zwar darauf, dass die Vorrichtungen ausschließlich Raketenabwehrsysteme seien. Das russische Militär behauptet jedoch, sie könnten auch (vertragswidrig) zum Abschuss von landgestützten Tomahawk-Marschflugkörpern auf russisches Gebiet benutzt werden.
Der US-Verteidigungsminister, General James Mattis, äußerte sich in ähnlich drohendem Ton wie Hutchison. Auf dem Weg zum Nato-Treffen erklärte er in Paris auf einer Pressekonferenz über mögliche Reaktionen der USA im Zusammenhang mit den Vorwürfen, Russland habe gegen den INF-Vertrag verstoßen: „Ich kann nicht vorhersagen, wohin sich das entwickeln wird; das ist eine Entscheidung des Präsidenten. Ich kann Ihnen jedoch sagen, dass im Kongress und im Außenministerium große Sorge wegen dieser Situation herrscht. Ich werde mit den Ratschlägen unserer Verbündeten zurückkehren und mich an dieser Diskussion beteiligen, um den weiteren Weg zu bestimmen.“
Mit der „Sorge“ im Kongress ist u.a. die lautstarke Kampagne gemeint, mit der die Demokratische Partei versucht, Russland und Präsident Wladimir Putin zu verunglimpfen und Trump gleichzeitig der „Zusammenarbeit“ und der „Schwäche“ gegenüber Moskau zu bezichtigen.
Diese Haltung machte Senator Robert Menendez, der ranghöchste Demokrat im Senatsausschuss für Außenpolitik, im vergangenen Monat bei einer Anhörung über amerikanisch-russische Rüstungsabkommen deutlich. Er forderte eine „Politik der Konfrontation gegenüber Russland für seine zahlreichen und andauernden Verfehlungen, u.a. militärische Aggression, unheilvoller Einfluss und repressive Politik“. Er fügte hinzu: „Angesichts der Realität von Russlands derzeitiger nuklearer Kapazität müssen wir gemeinsam alle uns zur Verfügung stehenden diplomatischen Werkzeuge – wirtschaftliche, politische und militärische – nutzen, um unsere Ziele zu erreichen.“
Führende Demokraten werden Hutchisons Drohung mit einem Präventivschlag gegen Russland zweifellos begrüßen. Sie ist die logische Schlussfolgerung aus ihrer eigenen Politik.
Angeheizt durch die unablässige militärische Aufrüstung der Nato an der russischen Grenze, Washingtons anhaltende Versuche, in Syrien einen Regimewechsel herbeizuführen und die Androhung von Militärschlägen gegen die von Russland unterstützte Regierung von Baschar al-Assad, sowie durch die fortlaufende Verschärfung der Sanktionen gegen Russland und seine Wirtschaft war die Gefahr eines Kriegs zwischen den beiden größten Atommächten der Welt noch nie größer.
Diese Eskalation des Kriegskurses ist nicht allein auf die Rücksichtslosigkeit und Arroganz von Trump und seinen Beratern zurückzuführen, sondern wurzelt in der globalen Krise des kapitalistischen Systems. Sie findet ihren deutlichsten Ausdruck im langfristigen wirtschaftlichen Niedergang der USA. Einflussreiche Teile der amerikanischen herrschenden Klasse befürworten den Einsatz von Washingtons militärischer Stärke, in der Hoffnung seinen Niedergang aufzufangen – dazu zählt auch eine Konfrontation mit Russland und China um die Vorherrschaft über den Nahen Osten und die ganze eurasische Landmasse.
Dass die Gefahr eines Weltkriegs weder in den Medien noch von den beiden großen kapitalistischen Parteien, die sich aktuell auf die amerikanische Zwischenwahlen vorbereiten, diskutiert wird, ist kein Zufall. Die herrschende Klasse fürchtet zurecht, dass die Arbeiterklasse, sobald ihr bewusst wird, dass sie und ihre Familien von einem nuklearen Inferno bedroht werden, zu einer offenen Revolte übergehen wird. Schon jetzt kocht die Wut über die soziale Ungleichheit und den sinkenden Lebensstandard.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.
Quelle:
http://www.wsws.org/de/