Sendung 431 vom 23.01.2018
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
In Tunesien halten die Proteste gegen das neue Finanzgesetz an, das zu Jahresbeginn auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Kraft getreten ist. Das Gesetz soll dazu beitragen, die Staatseinnahmen zu erhöhen, um den zuletzt beträchtlich gestiegenen Schuldenstand des Landes zu senken.
Tunesiens Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren eingebrochen – vor allem, weil erstens die ausländischen Investitionen geschrumpft sind und zweitens der Tourismus infolge mehrerer jihadistischer Terroranschläge zurückgegangen ist. Das Finanzgesetz wälzt die Lasten nun mit der Kürzung von Subventionen und mit Mehrwertsteuererhöhungen auf die Bevölkerung ab, die jetzt unter anderem für Benzin, Lebensmittel und Medikamente mehr bezahlen muss als zuvor. In den vergangenen Wochen ist es zu heftigen Protesten gekommen, gegen die Polizei und Militär brutal vorgingen; über 800 Menschen wurden festgenommen, ein Demonstrant kam ums Leben.
Also eine ähnliche Vorgehensweise wie die der deutschen Repressionsorgane gegen die G20-Demonstanten im vorigen Jahr.
Die eigentlichen Ursachen der aktuellen Krise in Tunesien liegen allerdings nicht nur im jüngsten Einbruch der Wirtschaft begründet; sie reichen tiefer und haben strukturelle Wurzeln. Unlängst hat sie eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung publizierte Analyse beschrieben. Wie die Analyse bestätigt, ist die Wirtschaft des Landes in den vergangenen Jahrzehnten „infolge einer Strategie zur Integration der Wirtschaft in globale Wertschöpfungsketten“ sehr „einseitig auf einige wenige Exportsektoren … ausgerichtet“ worden.
Dabei handelt es sich um Branchen wie „Textilien“ sowie „mechanische und elektrische Geräte“, die klar „von europäischen Unternehmen dominiert“ werden. Tatsächlich spielen deutsche Firmen dabei eine herausragende Rolle. Rund 250 Unternehmen aus der Bundesrepublik haben insgesamt mehr als 350 Millionen Euro in dem Land investiert; der Nürnberger Kabelhersteller Leoni ist laut eigenen Angaben der aktuell größte Arbeitgeber dort. Neben weiteren Kabelproduzenten (Dräxlmaier, Kromberg & Schubert) sind vor allem Textilunternehmen (Van Laack, Rieker), der Plüschtierproduzent Steiff sowie verschiedene Elektronikfirmen (Marquardt, Mentor, Wisi) in Tunesien präsent.
Wie die Luxemburg-Stiftung konstatiert, ist durch die Auslandsinvestitionen „eine Wirtschaftsstruktur entstanden, die auf einer Spezialisierung auf Branchen mit geringen Wertzuwächsen basiert“; zugleich sind die auswärtigen Investoren „auf Profitmaximierung mittels Kostenreduktion“ bedacht. Profite werden regelmäßig – und mutmaßlich nicht immer legal – aus Tunesien an die Hauptstandorte der Auslandsinvestoren transferiert; eine weitergehende ökonomische Entwicklung durch die Investoren findet nicht statt.
Hinzu kommt, heißt es in der Analyse, dass Tunesien unter dem Druck der Standortkonkurrenz die ausländischen Investoren mit „Niedrigsteuerpolitik (Steuerdumping)“ anzulocken bzw. im Land zu halten sucht. Tatsächlich konstatiert etwa die bundeseigene Wirtschaftsagentur Germany Trade & Invest (GTAI): „Investoren können in Tunesien von niedrigen Steuersätzen profitieren.“ Zudem könnten „bei Investitionen in die Ausbildung junger Menschen“ sowie in die „Steigerung der Wertschöpfung“ oder „der Exportkapazitäten“ häufig „hohe Zuschüsse in Anspruch genommen werden“.
Dies hat, wie die Analyse der Luxemburg-Stiftung feststellt, zu einem Rückgang der Staatseinnahmen und „zu einer Verschlechterung der sozioökonomischen Existenzbedingungen der Bevölkerung“ geführt. Hinzu kommt demnach „die Schuldenfalle“: Die Standortkonkurrenz und die mangelnden eigenen Entwicklungschancen in den globalen Wertschöpfungsketten haben Tunis strukturell in die Verschuldung getrieben.
Diese habe sich inzwischen verselbständigt, heißt es in der Analyse. So hätten „1,7 Milliarden US-Dollar eines Kredits von insgesamt 2,9 Milliarden US-Dollar“, den das Land 2016 im Rahmen einer IWF-Maßnahme aufgenommen habe, ausgegeben werden müssen, um „einen älteren Stand-by-Kredit des IWF zu tilgen“. 2017 sei Tunesien darüber hinaus gezwungen gewesen, „ein Fünftel des Haushalts … an ausländische Gläubiger“ zu zahlen. Eine gedeihliche Entwicklung sei damit faktisch unerreichbar.
Bundesdeutsche Unternehmen nutzen Tunesien seit Jahrzehnten als Niedriglohnstandort – Leoni etwa seit 1977 – und haben damit maßgeblich dazu beigetragen, Tunesien auf seine heutige ökonomische Position festzulegen. Die Bundesregierung hat ihre Aktivitäten in dem Land stets unterstützt; so hat sie etwa ein Jahr nach dem Sturz von Staatspräsident Ben Ali Anfang 2011 eine sogenannte Transformationspartnerschaft mit Tunesien vereinbart, die deutschen Firmen zahlreiche lukrative Vorteile sicherte.
Ihr jüngster Schritt schließt unmittelbar daran an: Im vergangenen Jahr haben Berlin und Tunis angekündigt, im Rahmen des „Compact with Africa“ der G20 die Rahmenbedingungen für Auslandsinvestitionen in Tunesien weiter zu fördern. Deutsche Wirtschaftskreise monieren schon seit langer Zeit, „die Umsetzung von Gesetzen zur Verbesserung des Wirtschaftsstandorts verzöger[e]“ sich in Tunis allzu oft. Der Schwerpunkt des „Compact“ liegt nun zunächst auf Reformen im Finanz- und Bankensektor.
Während die Proteste der Bevölkerung anhalten, kann sich Tunis bei ihrer Niederschlagung auch auf deutsche Waffen stützen. So hat die Bundesregierung im vergangenen Jahr die Genehmigungen für den Export von Rüstungsgütern nach Tunesien auf mehr als 58 Millionen Euro erhöht. Geliefert werden durften beispielsweise zwölf automatische Gewehre der süddeutschen Waffenschmiede Heckler & Koch. Darüber hinaus haben deutsche Stellen zahlreiche Lehrgänge für tunesische Polizisten durchgeführt, die insbesondere die Grenzabschottung intensivieren sollen, teilweise aber auch für andere Zwecke dienlich sind. Die Bundesregierung hat angekündigt, die tunesische Polizei auch in Zukunft trainieren zu wollen.
So sah und sieht deutsche Politik aus. Repressionsorgane und Militär werden hoch gewinnbringend mit den benötigten Mordinstrumenten ausgerüstet, während die Bevölkerung dank neoliberaler „Reformen“ leidet. Nicht nur in Tunesien, in Deutschland und dem großen Rest der Welt ist es ähnlich. Was bleibt ist die Hoffnung auf umfassende Änderungen. Denn die Hoffnung stirbt zuletzt!
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.