Sendung 320 vom 03.07.2014
Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer.
Vor etwas mehr als einer Woche hat Human Rights Watch schwere Vorwürfe gegen Libyen und die EU erhoben. Wie Human Rights Watch trocken feststellt, werden „jede Woche Hunderte Migranten und Asylsuchende von Libyens Küstenwache, die von der Europäischen Union und Italien Unterstützung erhält, abgefangen oder gerettet und in Abschiebehaft genommen“
Die Menschenrechtsorganisation hat im April neun der offiziell insgesamt 19 Lager in Libyen inspiziert, in denen Flüchtlinge interniert sind. Acht davon seien in einem katastrophalen Zustand, schreibt die Organisation. Bis zu 60 Männer und Jungen würden in 30 Quadratmeter große Räume gepfercht; manche drängten sich in Fluren, die von überlaufenden Toiletten überflutet seien. Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung fehle. Knapp 100 der 138 befragten Migranten hätten sich zudem über Misshandlung und Folter durch das Wachpersonal beklagt. Frauen seien sexueller Gewalt ausgesetzt; Schläge mit Eisenstangen oder Gewehrkolben sowie Peitschenhiebe mit Kabeln oder Schläuchen seien an der Tagesordnung. Auch würden Gefangene mit Elektroschocks gequält. In mindestens einem Lager seien mehrere Migranten „kopfüber an einen Baum gehängt und dann ausgepeitscht worden“. „Die politische Situation in Libyen ist zwar schwierig, dennoch gibt es keine Rechtfertigung für Folter und andere Gewaltanwendung durch das Wachpersonal in diesen Auffanglagern“, erklärt ein Mitarbeiter von Human Rights Watch.
Die Bundesregierung hat bereits im Februar offen eingeräumt, ihr sei durchaus „bekannt, dass illegale Migranten teilweise willkürlich festgenommen und auf unabsehbare Zeit unter teils sehr schlechten Bedingungen festgehalten werden“. Leugnen wäre auch damals schon unsinnig gewesen: Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte im Juni 2013 in einer umfassenden Untersuchung die internationale Öffentlichkeit über die katastrophale Lage in den libyschen Flüchtlingslagern informiert. Dass sich an den Zuständen nichts gebessert hat, belegen die aktuellen Recherchen von Human Rights Watch.
Weiter hinrichten sich die Vorwürfe gegen die gesamte EU. Zu deren ersten Prioritäten gehörte es in Libyen nach Gaddafis Sturz, so rasch wie möglich Maßnahmen zur Migrationsabwehr zu treffen. Während sich zunächst der nationale Übergangsrat und ab dem Spätherbst 2012 die neue Regierung daran machten, das kriegszerstörte Land vor dem Totalzerfall zu bewahren, eine Lage, in die das Land erst „dank“ EU- und NATO-Militär gekommen ist, drängten Berlin und Brüssel stattdessen entschlossen auf die Abschottung der Landesgrenzen. Abschottung vor Humanität und Menschenrechte sozusagen.
Bereits im Februar 2012 hatte der damalige libysche Ministerpräsident offiziell erklärt, Tripolis – von inneren Auseinandersetzungen erschüttert – werde seine „Freunde und Partner im Norden schützen“, indem es „die illegale Einwanderung bekämpfe“. Im März 2012 entsandte Brüssel eine „Expertenmission“ nach Libyen, die mögliche Maßnahmen gegen Migranten erarbeiten sollte. Nach umfassender Auswertung beschloss der Europäische Rat am 31. Januar 2013 ein Konzept für eine EU-Mission, die schließlich am 22. Mai 2013 als „EUBAM Libya“ grünes Licht erhielt. Ihr offizielles Ziel ist es, „die libyschen Behörden bei der Entwicklung von Grenzmanagement und -sicherheit an den Land-, See- und Luftgrenzen“ zu unterstützen.
Wie die Bundesregierung urteilt, erzielt EUBAM Libya mit einem Etat von gut 30 Millionen Euro im Jahr durchaus „Erfolge“. Bereits mit Stand vom 28. Januar 2014 seien „insgesamt 300 Angehörige libyscher Behörden im Grenzschutz ausgebildet“ worden, hieß es im Februar auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.
Kann es sein, dass es für Deutschland und die EU als „Erfolg“ gilt, wenn Hilfe suchende Menschen, anstatt im Mittelmeer abzusaufen, in Nordafrikanische Gefängnissen gefoltert und getötet werden?
Wie zynisch ist europäische Politik eigentlich? Während sich die Staaten tage- und wochenlang über nebensächliche Machtfragen a là Juncker streiten können, sind humanitäre Fragen solange gleichgültig, wie sie nicht, in neokapitalistischen System- und Denkstrukturen, einen Profit abwerfen. Deutschland erweitert diese Denkweise noch um eine Politik der Asylabwehr nach dem Motto „irgendwann muss ja mal Schluss sein!“, 70 Jahre nach dem 2. Weltkrieg und dem Holocaust.
In Deutschland wiederum werden Fakten anderer Art geschaffen. In Berlin spielten sich teilweise dramatische Szenen an, als die Polizei mit Gewalt eine Berliner Schule räumen wollte:
Nach eineinhalb Jahren sollen etwa 250 Flüchtlinge ihre derzeitige Unterkunft, die Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg, verlassen. Für sog. friedliche und freiwillige „Umzugsmaßnahmen“ hatte der Bezirk für den 24. Juni 900 Einsatzkräfte der Polizei angefordert und sich damit eine nicht mehr überschaubare Räumung eingehandelt. Denn viele der Flüchtlinge gingen nur unter Protest und einige Dutzend Aktivist_innen wollen sich gar nicht räumen lassen. Sie haben ganze Nacht auf dem Dach verbracht und damit die Räumung des Gebäudes vorerst verhindert.
Polizei und das Bezirksamt Kreuzberg wollen die Geflüchteten nun abschotten. Sie haben eine geplante Pressekonferenz nicht genehmigt und keine Pressevertreter ins Haus gelassen. Das Gebiet rund um die Schule wurde weitläufig abgesperrt. Wer aus der Schule hinausging, aus welchen Gründen auch immer, kam nicht mehr zurück.
Dank Skype und Mobiltelefonen konnte die Pressekonferenz dennoch stattfinden. Dort bekräftigten die Geflüchteten, dass sie entschlossen sind, auszuharren bis ihre beiden Kernforderungen erfüllt sind: Bleiberecht nach §23 und Rückzug der Polizei.
Die Flüchtlinge äußerten sich wie folgt: „Wir sind Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten und nun auch hier in Deutschland wieder vertrieben werden sollen. Wir brauchen die Schule – auch wenn die Bedingungen noch so schlecht sind, denn das ist immer noch besser als ein Lager, in dem wir von der Bevölkerung und damit auch der Öffentlichkeit isoliert sind.
Und: Wir trauen den Versprechen des Senates nicht mehr! Es hat sich gezeigt, dass die Zusagen des Berliner Senats nur dazu gedient haben, uns unser – für alle sichtbares – Zentrum zu nehmen und die Bewegung zu zerstreuen und unseren Widerstand zu brechen. Die Beweise dafür haben wir und es wird nichts helfen, dass man jetzt wieder auf dieselbe Art mit einer Mischung aus Angeboten und Drohungen versucht, uns zu überreden, auch noch die Schule aufzugeben.
Sie müssen auch wissen, dass viele von uns nichts zu verlieren haben. Aufgrund der Geschichte dieses Landes und dieser Stadt sollte eigentlich klar sein, dass man Menschen nicht auf Dauer ihrer Grundrechte berauben und ihnen dann dafür auch noch die Verantwortung zuschieben kann. Grundlegende Menschenrechte sind nicht verhandelbar! Mit Menschen, die mit dem Rücken zur Wand stehen und in den meisten Fällen durch ihre Migrationsgeschichte und die ständige Unsicherheit sowie das Wissen um das Leid ihrer Familien traumatisiert sind, zu spielen und sie als Manövriermasse im politischen Poker zu gebrauchen ist zynisch! Und es hat eben auch dazu geführt, dass einige nun lieber sterben wollen, als diese Schule zu verlassen, so schäbig sie auch sein mag.“ – Zitat ende.
Sieht so die Demokratie aus wie sie sich SPD und CDU vorstellen? Nämlich, undemokratisch, repressiv und Menschenverachtend?
Hier zeigt die Politik, dass sie sehr wohl handeln kann. Und zwar immer dann, wenn es gegen die Menschen und für die Wirtschaft geht.
Wir sehen uns nächste Woche wieder.
Quellen:
German Foreign Policy
Tageszeitung Junge Wel
Umbruch e.V.