Sendung 254 vom 26.07.2012 sowie 255 vom 02.08.2012
Guten Tag liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich begrüße Sie zu einer weiteren Folge von „Die vergessenen dieser Welt. Die heutige Sendung trägt den Titel: Stolpersteine einer Demokratie: “… ein Erlöschen kraft Gesetzes“
„Ein Aufklärer“ für Einige (FAZ vom 18.7.), “… als leitender Beamter im Bundesinnenministerium, … von allen Seiten anerkennend als „Spitzenkraft“ bezeichnet“ (Die Zeit, 17.07.2012), einer der für frischen Wind in der Behörde Verfassungsschutz sorgen sollte aus der Sicht des Innenministers Friedrich. So wird der neue Präsident für Verfassungsschutz von seinen nahstehenden Wirkungskreisen beurteilt. Andererseits jedoch gilt er für manche Sachkundige, die ihn im Kontext der Gesellschaftspolitik und Migration als den Architekten des Zuwanderungsrechts und dessen Ausführungsregelungen in Betracht ziehen, als „Hardliner“ und einen, der gerade für seine nicht antirassistische Haltung bekannt sei.
Könnte man vor diesem Hintergrund meinen, dass seine Beförderung in jenes hoch sensible Amt eigens unter dem Aspekt “die Gunst der Stunde“ zu verstehen wäre? Denn die Vorwürfe, die ihm anlasten und sogar dazu führen, dass ihm seine Beförderung zum Honorarprofessor an der Freien Universität Berlin durch den akademischen Senat verweigert wird, sind schwerwiegend.
Der für das Amt der leitenden Position des Geheimdienstes geeignete Mann mit hoher Kompetenz, wie manche meinen. Der Jurist, der seit mehr als 20 Jahren im Innenministerium tätig ist und sich von Anbeginn mit Asyl- und Ausländerrecht beschäftigte und später die Leitung der Projektgruppe Zuwanderung übernahm und mit einjährigem Abstand das Referat Ausländerrecht, leistete in den letzten vier Jahren seinen Dienst als Chef der „Terroristenbekämpfung“ in der Abteilung Öffentliche Sicherheit. Es handelt sich um Herrn Maaßen, der von Michael Hartmann, dem Sprecher der damaligen mitregierenden Koalitionspartei SPD als „… in hohem Maße loyaler Beamte“ bezeichnet wurde, der im Fall Murat Kunartz juristisch korrekte Einschätzung vorgenommen habe, so Hartmann, wird wohl von anderen politischen Kreisen anders wahrgenommen. Der Sicherheitspolitiker der Partei „Die Linke“ Wolfgang Neskovic, der damals ebenso im BND-Ausschuss mitwirkte, bezeichnet Maaßen wegen der Kunartz‘ Affäre als „emphatielosen Technokraten“, für den es keine Rolle spiele, dass Kunarz in dieser Zeit von den Amerikanern gewaltsam nach Guantanamo verbracht und dort gefoltert wurde. Er fährt weiter fort: Ohne die Klärung „… dieser Unkultur des Abwiegelns und der trotzigen Rechtfertigung …“ könne eine Reform des Verfassungsschutzes nicht fürwahr durchgeführt werden. Der Bundestagsabgeordnete Ströbele bezweifelt, dass Maaßen für einen Neubeginn der Richtige sei. Dass der Kunartz „… unschuldig, völkerrechtswidrig und menschenrechtswidrig in Guantanamo festgehalten habe …“ und dass, der Maaßen und BND ein Vertrauensverlust in der Bevölkerung hervorgerufen haben, bezichtigen auch die Liberalen im Abschlussbericht des BND-Ausschusses.
Murat Kunartz, der Bremer Guantanamohäftling, saß viereinhalb Jahre ohne jegliche Beweisführung zu seiner angeblichen Talibanzugehörigkeit in US-Lager Guantanamo ein. Im März 2007 trat Hans Georg Maaßen vor den BND-Untersuchungsausschuss, um zu klären, weshalb Deutschland die 2002 von den USA signalisierte Freilassung des Häftlings, Murat Kunartz verhinderte. Murat Kunartz wurde indes die Einreise in die BRD verweigert unter der Begründung: Kunartz Aufenthaltserlaubnis sei wegen dem Versäumen der halbjährlichen Verlängerungsfrist ungültig; trotz der Erkenntnisse über seine Inhaftnahme im US-Lager Guantanamo während des erwähnten Zeitraums. Die Vorlage, auf der sich 2002 die rot-grüne Bundesregierung anlehnte und die Einreise von Murat Kunartz in die BRD vereitelte, war durch Maaßen im Vorfeld verfasst worden. Zur Rechtfertigung und Begründung seiner verhängnisvollen Untat erwähnte Herr Maaßen vor dem zuständigen Ausschuss die nicht verlängerte Aufenthaltserlaubnis Kunartz, die nach sechs Monaten überschritten und aufgrund dessen „Kraft des Gesetzes erlöschen“ sei, infolge dessen die Aufenthaltsgenehmigung im Reisepass Murat Kunartz „physikalisch ungültig“ wurde. Als Antwort auf die Anfrage der Berliner Zeitung bezüglich des Falls Kunartz positioniert sich Herr Maaßen in folgender taktlosen Formulierung: „Das war die Gesetzeslage …“.
Das heißt: Herr Kunartz wird einmal vom amerikanischen Geheimdienst und Rechtssystem unberechtigt in seinem Recht als Bürger verletzt und entwürdigt. Als er aber dann erneut die Hoffnung hegen durfte nach seiner Leidensodyssee in seinen Rechtsstaat zurückzukehren, wird ihm eine Einreise verweigert. Stattdessen wird ihm die Ungewissheit einer Wiederaufnahme in seinem Wohnland nahegelegt, wodurch er eine zusätzliche viereinhalbjährige Gefangenschaft im anrüchigen Reich des Schreckens, namens Guantanamo, in Kauf nehmen durfte; ein doppeltes Unrecht durch zwei Staaten, die sich Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichten, jedoch ohne jegliche Folgen. Sollte man jenen Fall nicht unter dem Aspekt der Freiheitsberaubung und des Rechtsbruchs behandeln? Sollte dieses erschütternde Fiasko nicht zumindest eine Geste der Reue anfachen? Nicht einmal beim Herrn Maaßen? Hierzu sind die Aussagen von Kunartz Anwalt, gegenüber der Süddeutschen Zeitung nicht von geringer Bedeutung: Maaßens Verhalten spreche nicht gerade dafür, dass er ins akademische Gefilde geadelt werde. Und, dass bei ihm keine Reue zu erkennen wäre.
Addiert man zu all den obenerwähnten Begebenheiten die brillanten Ansichten von künftigen Präsidenten des Bundesverfassungsschutzes aus seinen Aufsätzen in der Zeitschrift „Ausländerrecht und Ausländerpolitik“, Jahrgang 2011, in denen er sogar Bezeichnungen wie: „nominal deutschen Staatsangehörigen“ huldigt, kann man um die Zukunft unserer Republik bangen.
Heinz Georg Maaßens Übernahme des Präsidentenamtes des Geheimdienstes geschieht aus Gründen einer skandalösen geheimdienstlichen Fehlentwicklung, in deren Folge die Neonazi-Brütestädte nicht nur ins Leben gerufen, sondern durch staatliche Organe und Mittel gefüttert wurden. Die Akten, die diese geheim gehaltenen Prozesse zu dokumentieren und zu nachforschen dienlich sein sollten, wurden ebenfalls auf unheimlichen Wegen vernichtet. Die Zwickauer Neonazi-Zelle hat bloß diesen Skandal ans Licht gebracht. Viele Bürger unseres Rechtsstaates sind der Brutalität jener Missgunst physisch wie seelisch zum Opfer gefallen. Dies führte dazu, dass der amtierende Vorgänger von Herrn Maaßen, Heinz Fromm um die Versetzung in dem vorzeitigen Ruhestand bat. Nach solch einer blutigen und abwegigen Erfahrung wirft die Maaßen Amtsübernahme im August unzählige Fragen und Ungewissheiten bezüglich des Demokratie- und des Rechtsverständnisses der Entscheidungsorgane des Landes von Neuem auf.
Guten Tag
Sendetext von: Sima Kassaie