Sendung 199 vom 20.01.2011
Guten Tag liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich begrüße Sie zu Folge 199 von „Die Vergessenen dieser Welt!“. Die heutige Sendung ist übertitelt mit: Die Bevölkerung zahlt die Zeche.
Die »Diktatur der Finanzmärkte« und deutsche Billiglöhne haben (West-) Europa sozialökonomisch verwüstet. Die BRD-Lohnstückkosten, also die Löhne im Verhältnis zur Produktivität, legten seit 2000 um sechs Prozent zu. Im Rest der Euro-Zone stiegen sie um mehr als 20 Prozent. Nicht zuletzt dies hat dazu geführt, dass die Bundesrepublik erheblich mehr Waren und Dienstleistungen ins Ausland verkauft, als eingekauft werden. Unter dem Strich heißt das: Die meisten unserer Handelspartner mussten sich immer mehr verschulden. Das trifft insbesondere viele EU-Länder bzw. die privaten Haushalte und Unternehmen dort. Und der Staat haftet für diese Verbindlichkeiten über Bankenrettung und sinkende Steuereinnahmen.
Beispiel Irland: Dort war die Schuldenquote des Staates, also die öffentlichen Verbindlichkeiten in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), bis 2007 auf 25 Prozent reduziert worden. In Deutschland lag sie damals bei 65 Prozent. Banken mit Sitz in Irland sorgten durch exzessive Spekulation bis zum Ausbruch der Finanzkrise dafür, daß sich dies änderte. Als der Staat dann erklärte, für die Finanzkonzerne zu garantieren, schnellte die Schuldenquote des Landes auf 100 Prozent des BIP. Das waren gute Nachrichten für das Finanzkapital: Banken und Spekulanten testen seither die politische Stabilität der Euro-Zone und treiben die Zinsen für Kredite an Staaten in immer neue Höhen. Und während die Profiteure in Partystimmung sind, bitten die Regierungen die Bevölkerungsmehrheit für die Krise zur Kasse.
Irland hatte frühzeitig harte Etatkürzungen verkündet. Löhne wurden gekappt, im öffentlichen Dienst kam es zu Entlassungen. Die Wirtschaftsleistung brach 2009 um fast acht Prozent ein und schrumpfte auch 2010 weiter leicht. Nun sind zusätzliche Streichungen zu Lasten von Kindern, Rentnern und Beschäftigten im öffentlichen Dienst geplant. Die Mehrwertsteuer wird erhöht – das trifft die geringer verdienenden und von sozialen Transferleistungen abhängigen Menschen am härtesten. Die Dumping-Steuersätze von 12,5 Prozent für Konzerne werden indes nicht angerührt. In Irland entsprechen die tatsächlichen Abgaben auf Gewinne und Vermögen mit 15 Prozent nur etwas mehr als der Hälfte des Durchschnitts der Euro-Zone. Das ficht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht an. Sie hatte die Iren zu hartem Sozialabbau gedrängt, aber die Steuerpolitik zur souveränen Angelegenheit des »keltischen Tigers« erklärt.
Griechenlands Kürzungspaket führte 2010 voraussichtlich zu einer Schrumpfung des BIP von 4,5 Prozent. Bis 2013 sollen die »Einsparungen« ein Volumen von etwa 13 Prozent der Wirtschaftsleistung haben. Das entspräche in Deutschland ungefähr einer Halbierung der Hartz-IV-Leistungen, dem Stopp des Autobahnbaus- und -unterhalts sowie der Abschaffung des Militärs. Von letzterem ist Griechenland freilich weit entfernt. Der aufgeblähte Rüstungsetat von über vier Prozent des BIP wird beim »sparen« kaum angerührt. Insbesondere die Bundesregierung hatte auf die Einhaltung der Verträge mit der deutschen Rüstungsindustrie, dem größten Waffenlieferanten nach den USA und Rußland, gepocht. Wie in Irland bezahlt die Bevölkerung über Erhöhung der Mehrwertsteuern, Rentenkürzungen, Entlassungen im öffentlichen Dienst und Lockerung des Kündigungsschutzes in der Privatwirtschaft, Privatisierungen und Marktöffnung im Transportwesen. Doch auch Griechenland ist mit tatsächlichen Abgaben auf Gewinne und Vermögen von 19 Prozent eine Steueroase.
Auf der Iberischen Halbinsel wurden ähnliche Maßnahmen wie in Griechenland und Irland beschlossen. Spanien erreicht mit seiner offiziellen Arbeitslosigkeit von 20 Prozent einen traurigen Rekordwert. In Portugal ist die amtlich registrierte Erwerbslosigkeit mit elf Prozent auf dem höchsten Stand seit Ende der Militärdiktatur. In Frankreich und England gehen die Menschen auf die Straße und wehren sich so gegen die Erhöhung der Studiengebühren und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit.
In der BRD standen die Aktionen gegen »Stuttgart 21« und gegen die Atommülltransporte im Mittelpunkt der sozialen Proteste. Diese sind ungeheuer wichtig. Aber klar ist auch: Ohne Kampf um höhere Löhne wird Europa zerbrechen. Der Euro wird die deutschen Billiglöhne nicht überleben. Erst hält man ihre Arbeitsentgelte knapp, dann sollen die abhängig Beschäftigten die gesamteuropäische Suppe (Rettungspakte) auslöffeln. Eine dauerhafte Transferunion wird die Bevölkerung allerdings nicht akzeptieren.
Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit in Deutschland hat sich nicht erledigt. Der lauwarme, statt »heiße« Herbst 2010 hat mehrere Gründe: Jede Bewegung braucht Symbole. Ob ein Bahnhof in Stuttgart oder ein Konzerthaus in Hamburg. So könnte beispielsweise der Kampf gegen die Gesundheitsreform ein Sinnbild für die Auseinandersetzungen in der deutschen Klassengesellschaft werden. Geschickt hat die Bundesregierung die Kerngruppen der Lohnabhängigen von den Kürzungsmaßnahmen bisher weitgehend verschont und sich auf Hartz-IV-Empfänger und den öffentlichen Dienst konzentriert. Der Grund –die Regierenden erwarteten kaum Solidaritätseffekte in der gesamten Gesellschaft mit diesen Gruppen. Deshalb ist es auch so wichtig, daß DIE LINKE immer wieder klarstellt: Hartz IV ist nicht nur Armut sondern Lohnkürzung per Gesetz. Aber es muß auch klare Kante gegen den Raubzug der EU-Regierungen gezeigt werden. Die Forderung nach politischem Generalstreik muß wach gehalten werden. Das Grundgesetz erlaubt Widerstand gegen die Beseitigung der demokratischen Ordnung. Aber von Demokratie – einem Gesellschaftssysem, in dem sich die Interessen der Bevölkerungsmehrheit durchsetzen – kann schon lange keine Rede mehr sein. Die Menschen müssen sich wehren.
Guten Tag
Quellen:
Tageszeitung Junge Welt
www.europafueralle.de