Sendung 195 vom 16.12.2010
Guten Tag liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich begrüße Sie zu Folge 195 von „Die Vergessenen dieser Welt!“. Die heutige Sendung ist übertitelt mit: Der Nobelpreiskampf.
Mit starkem Druck reagieren Berlin und Brüssel auf den Boykott der Friedensnobelpreis-Verleihung durch mehrere verbündete Staaten. Es gehe nicht an, dass Serbien der Zeremonie fernbleibe und sich damit auf der Seite Chinas positioniere, verlautbart die EU-Kommission. Die außenpolitische Unbotmäßigkeit stelle Belgrads EU-Beitrittsprozess in Frage. Nach neuen Interventionen aus der EU hat die Ukraine, die zunächst ebenfalls nicht teilnehmen wollte, am gestrigen Donnerstag diesen Entschluss revidieren müssen. Die Verleihung des Preises an Liu Xiaobo, dessen politische Forderungen auf den Umsturz der Volksrepublik China hinauslaufen, schließt an frühere Fälle der Nutzung von Nobelpreisen für strategische Zwecke der westlichen Mächte an. Zuletzt hatte Ende 2009 die Vergabe des Friedensnobelpreises an den erst kurz zuvor ins Amt gelangten US-Präsidenten Barack Obama weltweit Spott hervorgerufen. Angesichts des internationalen Widerstands gegen die Nutzung des Nobelpreises durch den Westen verschärfen die deutschen Medien ihren Ton und stellen China in die Nähe des NS-Regimes.
Die Verleihung des diesjährigen Friedensnobelpreises an den Chinesen Liu Xiaobo sorgt für heftige internationale Auseinandersetzungen. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Vergabe des Preises an Liu von Anfang an begrüßt; Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte persönlich die Freilassung des Preisträgers aus chinesischer Haft. Anlässlich der Verleihung bekräftigt die Bundesregierung ihre Unterstützung für den chinesischen Dissidenten. So erklärt der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, die „Teilnahme Deutschlands“, der EU-Staaten „und zahlreicher weiterer Länder an der Zeremonie“ sei „ein selbstverständliches Zeichen des Respekts“ gegenüber „allen, die sich gewaltfrei für Menschenrechte und Demokratie einsetzen“.
Tatsächlich dienen die politischen Forderungen, die Liu mit seiner „Charter 08“ vertritt, westlichen Interessen. PR-wirksam setzt sich die „Charter 08“ zunächst ausführlich für Menschenrechte sowie Demokratie ein. Die politischen Kernelemente finden sich in den hinteren Paragraphen des Papiers, lassen aber keinen Zweifel über die Absichten der Verfasser zu. Gefordert werden eine umfassende Privatisierung nicht nur der Staatsbetriebe, sondern auch von Grund und Boden und der Umbau der Volksrepublik zu einer „Bundesrepublik China“. Insbesondere die letzte Forderung bricht mit allen Traditionen chinesischer Staatlichkeit seit mehreren Tausend Jahren. Insgesamt läuft die „Charter 08“ damit auf einen kompletten Umsturz der Volksrepublik China hinaus. Darin unterscheidet sie sich von den Forderungen zahlreicher chinesischer Menschenrechtler, die sich für Veränderungen innerhalb Chinas einsetzen, ohne gleich den Umsturz des Systems zu verlangen. Lius Plädoyer für Marktliberalismus und einen instabileren Bundesstaat kommen jedoch westlichen Wünschen nach einer Schwächung des chinesischen Rivalen entgegen.
Die Vergabe des Friedensnobelpreises an Liu schließt mit ihrer prowestlichen Stoßrichtung an die Verleihung anderer Nobelpreise seit dem Zweiten Weltkrieg an. Dabei entspringt es durchaus nicht Erfindungen der chinesischen Regierung, dass die USA direkten Einfluss auf Entscheidungen der Nobelpreis-Komitees nehmen. Seit mehreren Jahrzehnten sind die geheimdienstlichen Interventionen bekannt, denen sich Nobelpreisorganisatoren gerne zur Verfügung stellten – für Geld oder in der Münze ideologischer Gemeinsamkeiten.
Neu ist gegenwärtig, dass die Verleihung des Friedensnobelpreises im Sinne und zum Nutzen westlicher Interessen international auf erheblichen offenen Widerspruch stößt. Neben China selbst teilten bereits im November Russland, Kasachstan, Kuba, Marokko und der Irak mit, die Verleihungszeremonie boykottieren zu wollen. Diesem Boykott haben sich nun zahlreiche weitere Staaten angeschlossen. Unter ihnen befinden sich nicht nur Länder, die ohnehin heftigen Streit mit dem Westen austragen – wie etwa Venezuela, Sudan oder Iran -, sondern auch engere Verbündete, etwa Kolumbien, Ägypten, die Ukraine oder Serbien. Besonders die Verbündeten des Westens, die in der Presse inzwischen als „Allianz der Ängstlichen“ gebrandmarkt werden, sind heftigem Druck ausgesetzt. Die EU-Kommission hat vor allem Serbien scharf für seine Weigerung kritisiert, sich mit einer Unterstützung für die Nobelpreisverleihung in die inneren Angelegenheiten Chinas einzumischen. Belgrad müsse, wenn es der EU beitreten wolle, die „europäischen Werte“ achten, zu denen „die Menschenrechte“ gehörten, verlautbart Brüssel. Im Herbst nächsten Jahres sollten die Beitrittsverhandlungen beginnen; bleibe Serbien bei seiner „starren Haltung“, könne sich dies „negativ auswirken“. Auch Ägypten, die Ukraine und Marokko wurden von der EU aufgerufen, ihre Haltung zu „überdenken“. Alle drei Länder unterhalten Nachbarschaftsprogramme mit der EU. Die Ukraine konnte ihre Position nicht mehr halten und knickte ein.
Dabei sind sich zumindest einflussreiche Teile der deutschen Eliten durchaus bewusst, dass ihre antichinesische Propaganda rein gar nichts mit der Lebensrealität in der Volksrepublik zu tun hat. So berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung kürzlich von „Hintergrundgesprächen“, die ein hochrangiger deutscher Politiker „mit in China lebenden Deutschen“ führte. „Anders als bei den Themen Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit“ interessiere „der Kampf um Menschenrechte und ein Mehrparteiensystem“, wie Liu Xiaobo ihn führe, „nur eine Minderheit von Intellektuellen“. Im Westen werde hingegen „fast gar nicht (…) zur Kenntnis genommen, dass jedes Jahr in China annähernd 1.000 Demonstrationen mit mehr als jeweils 500 Teilnehmern stattfänden“. Dabei prangerten die Menschen Umweltskandale an oder protestierten „gegen Großprojekte wie eine Transrapidstrecke durch ihre Region“. Während hierzulande Proteste gegen ein Großprojekt der Bahn vom Staat erfindungsreich, aber unerbittlich niedergeschlagen werden, waren sie in China dem Bericht der Frankfurter Allgemeinen zufolge „erfolgreich“.
Guten Tag