Sendung 317 vom 05.06.2014
Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Mehrere tausend Friedensaktivisten gingen am Wochenende deutschlandweit unter dem Motto „Die Waffen nieder in der Ukraine“ auf die Straße. Der Bundesausschuss Friedensratschlag spricht von Kundgebungen in etwa 30 Städten, viele davon mit dem symbolischen Beginn um „5 vor 12“.
In Berlin fanden sich etwa 800 Demonstranten zusammen. Direkt vor dem Hauptstadtstudio der ARD nahm der Journalist Eckart Spoo auf einer Zwischenkundgebung die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in die Kritik. Ihre Berichterstattung über den Konflikt in der Ukraine sei „unwahr, parteiisch oder halbwahr, was noch gefährlicher ist.
Auch in Leipzig beteiligten sich bereits am Freitag über 1000 Menschen an einer Kundgebung unter der Parole „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ „Schluss mit dem Säbelrasseln im Westen“, forderte Torsten Schleip, Bundessprecher der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegner (DFG-VK). Der sächsische Linke-Abgeordnete Volker Külow geißelte in seinem Redebeitrag die „derzeitige aggressive antirussische Stimmungsmache in der bundesdeutschen Politik“ und den „wie gleichgeschaltet wirkenden Medien“, die mit einer „extremen Geschichtsvergessenheit“ einhergehe. Abgerundet wurde die Friedensmanifestation mit einem Auftritt des Liedermachers Konstantin Wecker. In der Leipziger Volkszeitung vom Wochenende sagte er: „Ein großes Problem sehe ich unter anderem darin, dass westliche Medien zu wenig und zu nebulös darüber berichtet haben, wenn Faschisten der Swoboda-Partei auffordern, Russen und Juden zu erschießen, Linke foltern, im Parlament verprügeln, in Odessa bei lebendigem Leib mit Benzin übergießen und anstecken, wenn Frau Timoschenko auffordert, aus Rußland verbrannte Erde zu machen.“
250 Demonstranten in Frankfurt plädierten für eine Deeskalationsstrategie in der Ukraine. Über Innenstadt samt Zeil und Konstablerwache verlief die Demonstration auch zum russischen Generalkonsulat am Oeder Weg. Zu dem Protestzug aufgerufen hatte die im Frankfurter Gewerkschaftshaus angesiedelte „Friedens- und Zukunftswerkstatt“, die auch den Frankfurter Ostermarsch organisiert.
Pünktlich um 11.55 Uhr, also um „fünf vor zwölf“ versammelten sich die Demonstranten im Kaisersack vor dem Hauptbahnhof. Den Redebeitrag der Anfangskundgebung von Willi van Ooyen hier im Wortlaut:
Die Waffen nieder in der Ukraine!
Entmilitarisierung des Konflikts ist das Gebot der Stunde – Gemeinsame Sicherheit statt Konfrontation!
Mit vielen Menschen teilen wir die Sorge um den Frieden in der Ukraine und in Europa. Der Zank zwischen dem Westen und Russland um die Zukunft der Menschen und des Landes an der Nahtstelle zwischen West und Ost droht aus dem Ruder zu laufen. Im Interesse der Ukraine und ganz Europas dürfen wir nicht zulassen, dass die alten Feindbilder ein Ende der Gewalt und eine Lösung des Konflikts torpedieren.
In der Friedensbewegung haben wir in den 70er Jahren – nach der KSZE – bereits über ein „Gemeinsames Haus Europa“ debattiert. Alle Völker und Staaten sollten ein Zimmer haben, inklusive einer gemeinsamen Teeküche und einer Kaffeebar, so etwas wie eine Wohngemeinschaft Europa. Statt eines gemeinsamen Hauses gibt es neue Spaltungen. Wieder steht man sich feindlich gegenüber. Jetzt an der Grenze Russlands, in der Ukraine. Die Ukraine, Moldawien, Belo-Russland, die Balkanstaaten insgesamt und auch Russland gehören zu Europa.
Manches an der Politik der EU und einzelner Mitgliedstaaten lässt allerdings befürchten, dass dies einigen nicht klar ist. Wenn ich einzelne französische Stimmen höre, habe ich den Verdacht, dass man sich nachträglich für die Beresina rächen will; in bundesdeutschen reaktionären Kreisen gilt das möglicherweise für Stalingrad.
Mir geht es nicht um eine pro-russische oder pro-ukrainische Parteinahme. Es geht mir um einen Umgang von uns mit sozialen Problemen und demokratischen Interessen der Menschen in der Ukraine. Diese werden dann gern als Beziehungen zwischen Blöcken, Nationen, Nationalitäten oder Ethnien dargestellt. Dieser Logik der Konfrontationslinien haben wir uns als Friedensbewegung immer entgegengestellt.
Kritik an undemokratischen Zuständen im heutigen Russland ist das Eine und wird von vielen Friedensbewegten geteilt. Aber die arrogante Selbstgerechtigkeit, mit der Putin im Westen zur Inkarnation des Bösen und Russland zur Gefahr für westliche Freiheit und Sicherheit erklärt werden, ist lebensgefährlich. Die schlichte und ahistorische Reduktion der Konfliktparteien auf „pro-russische“ und „pro-westliche“ Kräfte ist unverantwortlich und hat mit der sozialen Wirklichkeit der Menschen in der Ukraine und in Europa nichts zu tun.
Der innerukrainische Konflikt begann mit dem Protest auf dem Maidan gegen Armut und Arbeitslosigkeit, gegen das sich selbst bereichernde Oligarchensystem und mit dem Ruf nach Presse- und Versammlungsfreiheit. Heute herrscht auf beiden Seiten der antirussischen und der pro-russischen Kräfte das Gesetz des “Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ und zwingt die Menschen in die Zerreisprobe zwischen Anschluss an EU und NATO oder an Russland.
Die Perspektive einer bündnisfreien Ukraine mit guten Beziehungen zu Russland und zu Europa geht im rhetorischen und politischen Schlachtgetümmel des Zanks um die Zukunft der Ukraine unter. Die Menschen mit ihren vielfaltigen Bindungen in der Region und ihrem Wunsch nach Frieden und sozialer Sicherheit sind nur noch Spielball so genannter übergeordneter „nationaler“ Interessen.
Die Schärfe des neuen Ost-West-Konflikts ist nur zu verstehen, wenn man über die stetige Osterweiterung der NATO bis an die Grenzen der heutigen russischen Föderation spricht. Erinnern wir uns daran, wie oft Russland seit dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung der Warschauer Vertragsorganisation angemahnt hat, erbrachte militärische Vorleistungen zu honorieren und seine legitimen Sicherheitsinteressen zu respektieren!
Doch das mächtigste Militärbündnis der Welt wurde zwischen 1990 und 2009 auf 28 Mitglieder erweitert und bereitet weitere Mitgliedschaften in Osteuropa und an den Grenzen der GUS vor. Auch wenn Russland heute nicht unbeteiligt ist an der Zuspitzung der Gefahr für die Spaltung der Ukraine und Europas, darf um des Friedens willen der treibende Anteil der NATO und der EU nicht länger tabuisiert werden.
Die Friedensbewegung hier muss neben den Forderungen des sofortigen Rückzuges der Bundeswehr aus Afghanistan und allen Kriegsgebieten wieder die grundsätzlichen Forderungen nach Abzug aller Truppen von fremdem Territorium und das heißt hier in Hessen die Schließung des US-Headquarters in Wiesbaden auch aktionsmäßig voranbringen. Wir müssen schon jetzt die Schließung der NSA-Anlagen durchsetzen.
Deutschland als mächtiges NATO- und EU-Mitglied ist seiner proklamierten „Verantwortung für den Frieden in der Welt“ in keiner Weise gerecht geworden. Kein Politiker von CDU, CSU, SPD oder Grünen hat die Ausdehnung nach Osten kritisiert. Im Gegenteil versuchen sie die Konflikte weiter anzuheizen. Kein deutscher Minister hat das europäische „Assoziierungsabkommen“ mit der Ukraine kritisch infrage gestellt; keine Regierung hat ein offenes Ohr gezeigt für die vielen Warnungen. In den Medien werden Kritiker der herrschenden Politik vielmehr lächerlich gemacht, mit Häme überzogen und zum alten Eisen erklärt.
Deshalb demonstrieren wir heute mit der bundesweiten Friedensbewegung in vielen Städten unseres Landes.
Hier und heute fordern wir von der deutschen Regierung, dem Parlament und den Medien:
• Nutzen Sie alle Möglichkeiten, um die Gewalt in der Ukraine und die Spannungen mit Russland abzubauen.
• Fordern Sie die Entwaffnung der Kiewer Militärs und faschistisch unterwanderten Paramilitärs genauso, wie Sie die Entwaffnung der Separatisten fordern!
• Null Toleranz gegenüber Rechtsextremisten und Faschisten!
• Keine Waffenlieferungen in die Region!
• Fordern Sie statt NATO-Osterweiterung vertrauensbildende Maßnahmen, wie eine Europäische Sicherheitskonferenz, die Erweiterung der Kompetenzen der OSCE und ein stärkeres diplomatisches Engagement.
• Strikte Einhaltung und Verteidigung des völkerrechtlichen Gewaltverbots und
• umfassende Abrüstung gehört endlich auf die Tagesordnung!
Anschließend verlief die Demonstration langsam durch die Innenstadt und die Menschenmassen auf der Zeil.
Nach einer Kundgebung vor dem ukrainischen Generalkonsulats nahe der Konstablerwache zogenn die Kriegsgegner in Richtung Oeder Weg, zum russischen Generalkonsulat. Dort sprach die Linken-Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig. Sie fordert einen neuen Ansatz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa unter Einschluss von Russland sowie ein Sozialeres und gerechteteres Europa für alle, angefangen bei Griechenland und Spanien über ukraien bishin zu Deutschland und Frankreich.
Wir sehen uns nächste Woche wieder.