Sendung 258 vom 30.08.2012
Guten Tag liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich begrüße Sie zu einer weiteren Folge von „Die Vergessenen dieser Welt!“. In der heutigen Sendung veröffentliche ich eine Erklärung des Bundesausschusses Friedensratschlag zum Antikriegstag 2012.
Der Antikriegstag 2012 steht unter keinen guten Vorzeichen: Kriege und Bürgerkriege in der Welt haben nicht abgenommen, bewaffnete Konflikte drohen sich regional auszuweiten, die weltweiten Rüstungsaufwendungen sowie der internationale Waffenhandel befinden sich auf einem Rekordhoch und die rassistischen und neonazistischen Provokationen gehen unvermindert weiter.
Keine Militärintervention in Syrien
Seit Monaten tobt in Syrien ein erbitterter Bürgerkrieg, zwischen dessen Fronten die an einem friedlichen Wandel interessierte Zivilgesellschaft zunehmend aufgerieben wird. In Syrien tummeln sich längst nicht mehr nur die unter dem Dach der „Freien Syrischen Armee“ (FSA) operierenden bewaffneten Kräfte der Opposition, sondern Kämpfer und Freischärler aus Libyen, Saudi-Arabien und Afghanistan; viele von ihnen verfügen über Trainings- und Stützpunkte in der Türkei und werden logistisch und propagandistisch unterstützt aus dem Emirat Katar. Der Westen hat von Anfang an Partei ergriffen für die Opposition, obwohl deren Zusammensetzung und politische Orientierung vielfach unklar sind. So musste auch der von den Vereinten Nationen getragene Vermittlungsversuch von Kofi Annan scheitern: Weder die USA noch die FSA waren an Verhandlungen zwischen der Assad-Regierung und der Opposition interessiert, sondern bestanden auf einem Regimewechsel. Leidtragende sind die Menschen in Syrien, die sich schon zu Hunderttausenden auf der Flucht befinden und dringend humanitärer Hilfe bedürfen. 20.000 Menschen – darunter viele Zivilpersonen – sollen getötet worden sein.
Zugleich ist der syrische Bürgerkrieg zu einer Art Stellvertreterkrieg mutiert: Der Westen (unter Führung der USA), die NATO (mit dem Frontstaat Türkei), die Europäische Union und die Bundesregierung tun dabei so, als stünden einer friedlichen Entwicklung lediglich Russland und China im Weg, die im UN-Sicherheitsrat jegliche einseitige Verurteilung der syrischen Regierung blockiert haben. In Wahrheit geht es dem „Westen“ aber um die Durchsetzung ihrer hegemonialen Interessen in der ölreichsten Region der Welt, geht es ihm um die Ausschaltung der letzten unbotmäßigen Regierungen, die einer imperialen Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens im Weg stehen. Dagegen sind China und Russland an der Aufrechterhaltung ihrer guten bis sehr guten Beziehungen zu Syrien interessiert; so stehen für Russland der einzige Militärstützpunkt am Mittelmeer und für Russland und China die guten Wirtschaftsbeziehungen auf dem Spiel.
Die Bundesregierung beteiligt sich aktiv an den Sanktionen der USA und der Europäischen Union gegen Syrien. Diese Sanktionen sind von keiner UN-Resolution gedeckt und sind kontraproduktiv, weil sie vor allem die ärmere Bevölkerung und die Handel treibende Mittelschichten treffen.
Ein Ende der Gewalt scheint nur möglich, wenn folgende Maßnahmen ergriffen werden:
-Sofortiger Stopp sämtlicher Waffenlieferungen – von welcher Seite auch immer, an welche Seite auch immer;
-Beendigung der militärischen und logistischen Unterstützung der bewaffneten Opposition;
-Beendigung und Rückgängigmachung der Sanktionen, die schon längst die Schwelle des Wirtschaftskriegs gegen Syrien überschritten haben;
-Diplomatische Unterstützung aller Versuche, die Konfliktparteien zu Verhandlungen zu bewegen;
-Aufstockung der uneigennützigen humanitären Hilfe (Medizin, Lebensmittel, Behelfsunterkünfte) in der Konfliktregion und großzügige Aufnahme von Bürgerkriegsflüchtlingen bei uns.
Und was das Wichtigste ist: Es darf keine Militärintervention von außen geben. Sie würde die Region in ein großflächiges Schlachtfeld verwandeln mit unabsehbaren Folgen für die Menschen und Staaten. Schon das Politiker-Gerede über die Opportunität einer Militärintervention ist mit dem Völkerrecht unvereinbar: Nach Artikel 2 der UN-Charta ist jede Androhung oder Anwendung von Gewalt in den zwischenstaatlichen Beziehungen strikt verboten.
Hände weg von Iran
Besorgnis erregend bleibt auch der Konflikt mit dem Iran. Der Westen hält unbeirrt an seiner Maximalforderung fest, der Iran müsse die Urananreicherung beenden. Solange das nicht geschieht, werden die Wirtschaftssanktionen gnadenlos fortgesetzt und – über das vom UN-Sicherheitsrat verhängte Maß hinaus – ausgedehnt. Die Sanktionspolitik hinterlässt bereits tiefe Spuren in der iranischen Wirtschaft: Der Mittelstand und die Landwirtschaft stecken tief in der Krise, die Inflation galoppiert, die Arbeitslosigkeit – vor allem unter Jugendlichen – wächst unaufhörlich. In der Folge verschlechtert sich die soziale Lage der Bevölkerung. Die iranische Atompolitik, die nach Auffassung vieler Experten zum Ziel hat, die technologische Fähigkeit Teherans zum Bau der Atombombe zu erreichen, ist bei nüchterner Betrachtung nur eine „logische“ Strategie angesichts des regionalen Atomwaffenmonopols Israels. Dennoch ist der angebliche „Griff nach der Bombe“ für den Westen nur ein Vorwand, Teherans Stellung in der Region zu schwächen – zugunsten des Hegemonialstrebens von Saudi-Arabien und der Türkei.
Grundsätzlich muss darauf hingewiesen werden, dass dem Iran nicht die Rechte vorenthalten werden dürfen, die allen anderen Staaten gemäß dem „Atomwaffensperrvertrag“ auch zustehen, nämlich das Recht auf die Entwicklung der „zivilen“ Kernenergie einschließlich der Urananreicherung (Art. IV des Vertrags). Das internationale Recht muss für alle Staaten gelten. Auf der anderen Seite muss die Friedensbewegung klar stellen, dass die Trennung von „ziviler“ und „militärischer“ Nutzung der Kernkraft nicht mehr aufrecht zu erhalten ist. Die „zivile“ Nutzung ist geradezu die Voraussetzung auch jeder möglichen oder tatsächlichen militärischen Nutzung. Fukushima hat darüber hinaus gelehrt, dass die lang anhaltenden Strahlenfolgen einer Katastrophe in einem Kernkraftwerk ähnlich verheerend wirken wie die einer Atombombenexplosion. So wäre es natürlich wünschenswert, wenn der Iran sich von der nuklearen Option verabschieden würde. Ihn mit Sanktionen und militärischen Drohungen dazu zu zwingen, ist allerdings vertrags- und völkerrechtswidrig.
Unerträglich und politisch höchst gefährlich ist das Säbelrasseln in der Region, woran sich neben Israel auch die sunnitischen Hardliner-Regime Saudi-Arabien und Katar beteiligen. Deutschland ist gleich auf zwei Ebenen in die Auseinandersetzung involviert: Während die Beziehungen zu Teheran auf einen historischen Tiefpunkt herunter gefahren wurden (Iran wird als „Schurkenstaat“ behandelt), werden die privilegierten Beziehungen zu den arabischen Nachbarstaaten gepflegt. Saudi-Arabien, Katar, die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Golfstaaten erhalten alle Waffen aus Deutschland, die sich diese reaktionären Regime nur wünschen. Und Israel, die einzige inoffizielle Atomwaffenmacht im Nahen Osten, erhält U-Boote der Dolphin-Klasse, d.h. sie können jederzeit auch mit Atomraketen beladen werden. Damit verletzt die Bundesregierung wissentlich den Atomwaffensperrvertrag, wonach sowohl Atomwaffen als auch deren Trägersysteme nicht weiter gegeben werden dürfen.
Auch im Fall Irans muss klar sein: Eine militärische Lösung kann und darf es nicht geben. Ein völkerrechtswidriger Angriff Israels und/oder der USA würde unweigerlich zu einem Flächenbrand führen, in den Libanon, Palästina, der Gaza-Streifen, die Golfstaaten, Irak, die Türkei und Ägypten hinein gezogen würden. Nicht wenige Experten warnen sogar vor einem drohenden globalen Krieg.
Eine politische Lösung des Konflikts ist möglich. Sie sollte folgende Bestandteile haben:
-Schluss mit den verheerenden Wirtschaftssanktionen, die den Iran in eine verzweifelte soziale Abwärtsspirale drängt;
-Verbot jeglicher Waffenexporte in die Spannungsregion Naher Osten;
-Ernsthafte Gesprächsangebote an den Iran über Kooperation und gemeinsame
Sicherheit;
-Aufnahme von Verhandlungen zur Einrichtung einer atomwaffenfreien Zone im
Nahen/Mittleren Osten auf der Grundlage des Beschlusses von 189
Mitgliedstaaten des Atomwaffensperrvertrags vom 28. Mai 2010.
Waffenexporte stoppen – Keine Kampfpanzer nach Saudi-Arabien
Deutschland hat sich mit einer bedenkenlosen Exportpolitik an die dritte Stelle der weltgrößten Waffenhändler vorgearbeitet. Weder gereicht das unserem Land zur Ehre, noch ist das ein Beitrag zum Frieden in der Welt. Im Gegenteil: Deutsche Kleinwaffen (z.B. die berühmt-berüchtigten Gewehre von Heckler & Koch) und deutsche Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge, aber auch deutsche U-Boote werden an zahlreiche Staaten geliefert, die entweder in extremen Spannungsgebieten liegen (z.B. im Nahen Osten) oder deren innenpolitische Situation eine Rüstungskooperation geradezu verbieten Die in Berlin offenbar gewünschte Lieferung von Hunderten von Leopard-2-Kampfpanzern nach Saudi-Arabien, Indonesien und Katar stellt nur den Gipfel der politischen Instinktlosigkeit dar. Damit werden erstmals schwere Heereswaffen in Spannungsgebiete geliefert. Zudem sind die Leopard 2 A7+ besonders für den Straßen- und Häuserkampf geeignet – zur Landesverteidigung werden sie dagegen wohl nicht gebraucht.
Solche Rüstungsexporte widersprechen nicht nur dem Friedensgebot des Grundgesetzes; sie widersprechen auch den von der Bundesregierung verabschiedeten Rüstungsexportrichtlinien von 2000, in denen es u.a. heißt: „Genehmigungen für Exporte nach KWKG (Kriegswaffenkontrollgesetz) und/oder AWG (Außenwirtschaftsgesetz) kommen nicht in Betracht, wenn die innere Lage des betreffenden Landes dem entgegensteht, z.B. bei bewaffneten internen Auseinandersetzungen und bei hinreichendem Verdacht des Missbrauchs zu innerer Repression oder zu fortdauernden und systematischen Menschenrechtsverletzungen. Für diese Frage spielt die Menschenrechtssituation im Empfängerland eine wichtige Rolle.“
In Saudi-Arabien sind Menschenrechte, insbesondere die Rechte von Frauen, ein Fremdwort, Gewerkschaften, Parteien und jegliche zivilgesellschaftliche Opposition sind verboten.
Anlässlich des Antikriegstags wendet sich die Friedensbewegung entschieden gegen die geplanten Panzerdeals mit Saudi-Arabien, Indonesien und Katar. Wir fordern:
-Stopp aller Waffenexporte;
-Keine deutschen Lizenzen zum Bau von Panzern und Kleinwaffen in anderen Ländern;
-Reduzierung der Rüstungsproduktion und Auflage eines Arbeitsplatz sichernden
Konversionsprogramms (zur Umstellung von Rüstung auf zivile Produktion) .
Gegen Nazis, Rassismus und Fremdenhass
Es ist unerträglich, dass Alt-und Neonazis den Antikriegstag nutzen wollen, um ihre geschichtsrevisionistische Hass-Ideologie unter die Leute zu bringen.
Rechtsradikalen Aufmärschen wie z.B. in Dortmund werden sich Friedensbewegung und antifaschistische Gruppierungen, demokratische Parteien und Organisationen und andere zivilgesellschaftliche Kräfte entgegen stellen. Der Zweite Weltkrieg begann ja nicht erst am 1. September 1939; vorbereitet wurde er seit der Machtübernahme der Nazis 1933. Eine rassistische Ideologie, die im millionenfachen Mord an jüdischen Menschen kulminierte, der Abbau der republikanischen Freiheiten der Weimarer Verfassung, das Verbot der linken Arbeiterorganisationen, der Aufbau eines faschistischen Gewaltapparats, der Wiedereinstieg in die militärische Hochrüstung, die militärische Niederschlagung demokratischer Regime im Ausland (z.B. Spanien): All das waren Etappen auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg, an dessen Ende etwa 60 Millionen Menschen ihr Leben lassen mussten und halb Europa in Schutt und Asche gelegt worden war.
Die Friedensbewegung fühlt sich für immer dem Schwur von Buchenwald verpflichtet, wonach kein Krieg und kein Faschismus mehr sein darf.
Gegen die Militarisierung der Inneren Sicherheit
Eine weitere Lehre aus der deutschen Geschichte besteht darin, dass Polizei und Bundeswehr, Innere und äußere Sicherheit strikt getrennt werden müssen. So sieht es auch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vor. Und in einer viel beachteten Entscheidung des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2006 wurde das strikte Verbot des Einsatzes bewaffneter Streitkräfte im Inneren höchstrichterlich bekräftigt.
Vor wenigen Tagen nun hat dasselbe Gericht eine Kehrtwende vollzogen und das eigene Urteil von 2006 widerrufen. Bundeswehr könne nun in Ausnahmefällen „katastrophischen Ausmaßes“ auch im Inneren eingesetzt werden und Waffengewalt ausüben. Kritiker weisen darauf hin, dass damit ein wesentlicher Pfeiler des demokratischen Rechtsstaates eingerissen und einer willkürlichen Interpretation dessen, was als „Ausnahmesituation“ gelten könne, Tür und Tor geöffnet werde.
Wir stellen fest: Zum zweiten Mal hat das Bundesverfassungsgericht in einer zentralen Frage des Friedensrechts sich über den Verfassungsgeber (das Parlament) hinweggesetzt und das Grundgesetz material geändert. Das erste Mal geschah dies 1994, als das Bundesverfassungsgericht Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland – entgegen den Bestimmungen des Grundgesetzes, namentlich Art. 25 und 26 – für rechtens erklärt hatte. Das war das Startsignal für die Umwandlung der Bundeswehr aus einer Verteidigungsarmee in eine Interventionsarmee („Armee im Einsatz“). Auch der jüngste Plenarbeschluss des BVerfGs vom 17. August 2012 setzt sich faktisch über das Grundgesetz hinweg und erlaubt – -trotz aller Einschränkungen – den Bundeswehreinsatz im Inneren.
Der Bundesausschuss Friedensratschlag unterstützt alle Aktionen der Friedensbewegung zum diesjährigen Antikriegstag. Sie finden in etwa 100 Orten der Bundesrepublik statt und richten sich
-gegen jede ausländische Intervention in interne Konflikte
-gegen den Rüstungsexport und die Herstellung von Kriegswaffen,
-gegen Neonazi-Umtriebe und
-gegen den bewaffneten Einsatz der Bundeswehr im Inneren.
Bundesausschuss Friedensratschlag Kassel, Berlin, Frankfurt, 27. August 2012
Guten Tag