Sendung 227 vom 10.11.2011
Guten Tag liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Ich begrüße Sie zu einer neuen Folge von „Die Vergessenen dieser Welt!“. Die heutige Sendung ist übertitelt mit Willkür als Prinzip.
Die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung plädiert für die Entwicklung umfassender Operationsmodelle für künftige Militäreinsätze à la Libyen. Der Libyen-Krieg sei ein voller Erfolg gewesen, heißt es in einer soeben von der Stiftung publizierten Studie. Unter anderem habe er den Grundsatz der sogenannten „Schutzverantwortung“ gestärkt, mit dem Interventionen in aller Welt legitimiert werden können, um bei tatsächlich oder angeblich drohenden Massenverbrechen einzuschreiten. Für die kommenden Militäroperationen unter diesem Etikett müsse eine neue „zivil-militärische Doktrin“ entwickelt werden, erklärt die Stiftung und würdigt explizit die „Pionierarbeit“, die ein US-Programm unter Mitwirkung hochrangiger Militärs dazu geleistet habe. Während die sozialdemokratische Organisation zukünftige Gewaltoperationen fest in den Blick nimmt, übt ein Völkerrechtsprofessor von der Universität Hamburg scharfe Kritik an der Intervention in Libyen. Wie Reinhard Merkel urteilt, haben die NATO-Staaten, indem sie einen Regimesturz in Tripolis herbei bombten, „Tausende Libyer ebenjenes Leben gekostet, das zu schützen der Auftrag der NATO gewesen ist“. Das Vorgehen des Westens werfe auf das von der Ebert-Stiftung propagierte Konzept „finsteren Schatten“.
Die aktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die die Entwicklung neuer Operationsmodelle für sogenannte humanitäre Interventionen fordert, bezieht sich auf das Prinzip der „Schutzverantwortung“. Dabei handelt es sich um ein Konzept, das nach Anstößen des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan in den Jahren 2000 und 2001 entwickelt worden ist, um „humanitären Interventionen“ eine formelle Legitimation zu verschaffen. Erarbeitet worden ist es maßgeblich von einer in Kanada eingesetzten Kommission, der einflussreiche westliche Militärs angehörten, darunter etwa der einstige Generalinspekteur der Bundeswehr und frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Klaus Naumann. Teile des Konzepts sind in abgemilderter Form im Jahr 2005 vom UNO-Weltgipfel angenommen worden. Demnach sind alle Staaten verpflichtet, ihre Bevölkerung gegen Völkermord und andere Massenverbrechen zu schützen. Kommen sie dieser Pflicht nicht nach, dann bestehe bei den UN eine „Verantwortung“, den Schutz der Bevölkerung durchzusetzen. Dazu seien, heißt es in dem UNO-Dokument, diplomatische, humanitäre und andere friedliche Mittel zulässig.
Zentrale Bedeutung kommt bei der „Schutzverantwortung“ drei Aspekten zu. Der erste besteht darin, dass der Westen sich grundsätzlich auch militärische Mittel offenhält, um bei tatsächlichen oder angeblichen Massenverbrechen einzuschreiten. Andere Staaten lehnen dies ab. Auch weisen Experten darauf hin, dass gerade die westlichen Staaten die „Einführung von Kriterien“ verhindert haben, „die den Prozess der Entscheidungsfindung in irgendeiner Form beeinflussen könnten“. So sei etwa in den Beschlüssen des UNO-Weltgipfels 2005 „an keiner Stelle“ auf die durch die ICISS „vorgeschlagenen Kriterien zur Legitimierung militärischer Maßnahmen Bezug genommen“ worden. Da Kriterien fehlen, stehen der Willkür Tür und Tor offen; man kann intervenieren, wo es die eigenen Interessen nahelegen, woanders jedoch Massaker geschehen lassen. Drittens ist es bei dem globalen Ungleichgewicht politischer, ökonomischer und militärischer Macht undenkbar, dass sich im Namen einer förmlich kaum geregelten „Schutzverantwortung“ schwächere Länder des Südens etwa zur Eindämmung von Kriegsverbrechen gegen die hegemonialen Staaten des Westens durchsetzen können. Damit allerdings erweist es sich als westliches Willkürinstrument zur Legitimierung der eigenen militärischen Interventionen.
Wie es nun in dem neuen Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung heißt, sei die „Schutzverantwortung“ mit dem Militäreinsatz in Libyen „auf ein neues Niveau befördert“ worden. Schließlich habe der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mit seiner Resolution 1973 vom 17. März 2011 zum ersten Mal „eine militärische Intervention zum Schutz einer Zivilbevölkerung mit Verweis auf diese beschlossen“. Die Studie räumt ein, dass die UNO-Resolution ausschließlich Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung vorsah, während die NATO unter Inkaufnahme von Opfern unter der Zivilbevölkerung einen Regimewechsel herbei bombte. Allerdings behaupten die Autoren, zum Schutz der Zivilbevölkerung könne ein militärisch herbeigeführter „Regimesturz“ ein legitimes Mittel sein.
Tatsächlich plädiert die Ebert-Stiftung dafür, das Konzept sorgfältig weiterzuentwickeln – insbesondere im Hinblick auf Kriegsinterventionen. So stelle sich „die Frage einer besseren Umsetzung der Schutzverantwortung auch im militärischen Bereich“. Streitkräfte seien bei „humanitären Interventionen“ mit „einem weitestgehend unbekannten Operationstypus konfrontiert“, der „einzigartige Herausforderungen birgt und daher einer eigenen zivil-militärischen Doktrin bedarf“. Bei deren Entwicklung müssten möglichst rasch „Fortschritte erzielt“ werden – um „die Handlungsoptionen der Politik“ auszuweiten.
Während die Friedrich-Ebert-Stiftung künftige Gewaltoperationen fest in den Blick nimmt, übt ein Völkerrechtsprofessor von der Universität Hamburg scharfe Kritik an ihrem aktuellen Bezugspunkt – am Libyen-Krieg. Wie Reinhard Merkel urteilt, haben die NATO-Staaten die Resolution 1973 zum Schutz libyscher Zivilisten nicht nur eklatant gebrochen, indem sie bei zahlreichen Bombardements Zivilisten töteten, um einen Regimesturz herbeizuführen. Völkerrechtswidrig habe auch „die Verlängerung der Gewaltanwendung noch nach der offenkundigen Entmachtung Gaddafis“ – etwa bei den Angriffen auf Sirte – „Tausende Libyer ebenjenes Leben gekostet, das zu schützen der Auftrag der NATO gewesen ist“. Es sei alles in allem „illegal, illegitim und verwerflich, jedes politische Ziel, das man außer dem autorisierten mit seiner Gewaltanwendung noch verfolgt, unter einen zur Gestaltlosigkeit gedehnten Begriff von ‚Schutz‘ zu subsumieren, damit alle Grenzen der erlaubten Gewalt zu sprengen und dies von Tausenden der solcherart ‚Beschützten‘ mit dem Leben bezahlen zu lassen.
Es muss zum Schluss noch gefragt werden, welche der im Bundestag vertretenen Parteien eigentlich noch gewählt werden kann. Die imperialen Kriegsparteien CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne sind es jedenfalls nicht.
Guten Tag
Quellen:
German Foreign Policy