Sendung 655 vom 29.08.2024
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Es ist soweit. Mit vierzigjähriger Verspätung sind wir endgültig im Orwell‘schen 1984 angekommen. Und ausgerechnet das SPD-Präsidium liefert Sätze, die eins zu eins von diesem Klassiker aller negativen Utopien abgeschrieben sein könnten:
„Als SPD übernehmen wir Verantwortung dafür, daß kein Kind, das heute in Deutschland geboren wird, wieder Krieg erleben muß. Die Vereinbarung der SPD-geführten Bundesregierung mit der US-Administration, ab 2026 US-amerikanische Raketen mit größerer Reichweite in Deutschland zu stationieren, ist dafür ein wichtiger Baustein.“
Jawohl, Sie haben richtig gehört! Dies ist die Stellungnahme des SPD-Parteipräsidiums vom 12. August zur von Bundeskanzler Olaf Scholz Mitte Juli im Handstreich verordneten „Nachrüstung 2.0“ – der Stationierung von u.a. Marschflugkörpern und de facto im Anflug nicht mehr zu eliminierenden Hyperschallraketen einer Reichweite um die 2.500 Kilometer –, die nicht etwa nur jedes Kind in Deutschland, sondern schlicht uns alle im Krisen- oder gar Kriegsfall zur Zielscheibe russischer Vergeltungsschläge machen könnte. Sätze, die dem Faß den Boden ausschlagen.
Als Scholz auf der NATO-Jubiläumskonferenz in Washington die Bombe platzen ließ, tönte er lediglich nebulös, dies sei eine sehr gute Entscheidung gewesen, um dann wörtlich fortzufahren: „Wir wissen, daß es eine unglaubliche Aufrüstung in Rußland gegeben hat, mit Waffen, die europäisches Territorium bedrohen.“
Sein forscher Kriegstüchtigkeitsminister wischte mit einer saloppen Handbewegung vom Tisch, was jedem der vom SPD-Präsidium so rührselig bemühten „Kinder in Deutschland“ mit etwas Erklärung sonnenklar sein dürfte: Die Gefahr, das Land drohe selbst zum Kriegsschauplatz zu werden, sei, so Pistorius, „blanker Unsinn“. Basta! Und Annalena Baerbock, frühe Avantgardistin des aktuell so hippen Orwell-Sounds – „Waffen retten Menschenleben“ –, nahm diese Maßnahme prompt zum Anlaß, künftige Kritiker vorsorglich zu beschimpfen: Diese seien nämlich „nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv gegenüber einem eiskalt kalkulierenden Kreml“.
Daß Scholz in jungen Jahren mal als strammer Juso gegen die Stationierung von Pershing II-Raketen und – man höre und staune! – Marschflugkörpern auf deutschem Boden demonstriert hatte, Baerbock laut Wikipedia als Kind von ihren Eltern auf eben diese Demos mitgenommen wurde und Pistorius über sechs Jahre Oberbürgermeister der „Friedensstadt Osnabrück“ war, demonstriert lediglich, wie Lichtjahre weit sich diese Protagonisten, stellvertretend für ihre Parteien, mittlerweile von ihren Wurzeln entfernt haben.
Aber warum stehen eigentlich russische Iskander-Raketen, mit denen der „eiskalt kalkulierende Kreml“ (Baerbock) „europäisches Gebiet bedroht“ (Scholz), im Kaliningrader Verwaltungsgebiet? Denn diese – genauere Angaben zu machen, hielt man von offizieller Seite bekanntlich für unnötig – werden ja wohl gemeint gewesen sein.
Dazu reicht es schon fast völlig aus, einen zeitgenössischen Artikel aus dem Berliner Tagesspiegel nochmals zu studieren. Dort stand nämlich am 13. November 2008 unter dem Titel „Rußland schlägt ‚Null-Lösung‘ für Raketenstationierung vor“ zu lesen, der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedew habe seinem designierten US-Kollegen Barack Obama vorgeschlagen, keine Raketen in der Exklave Kaliningrad zu stationieren, wenn die USA ihrerseits die Stationierungspläne von Modulen des globalen AEGIS-Raketen“abwehr“systems – das aufgrund seiner „Offenen Architektur“ mit einer einfachen Softwareveränderung in ein Angriffssystem verwandelt werden kann – in Polen und Tschechien (später: Rumänien) aufgäben.
Die USA waren zu einem Verzicht auf die Stationierung dieser Kriegswaffen vor der russischen Haustür nicht bereit, und das hatte laut unbarmherziger Abschreckungslogik seine Folgen. Als Donald Trump dann auch Anfang 2019 den INF-Vertrag, der landgestützte Kurz- und Mittelstreckenraketen einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 Kilometern verbot, kündigte, war der „eiskalt kalkulierende Kreml“ seinerseits ebenfalls nicht mehr an eine Reichweitenbegrenzung gebunden.
Kurz: Die „europäisches Gebiet bedrohenden“ russischen Raketen waren eine Gegenmaßnahme Rußlands, die der Westen seinerzeit mit etwas gutem Willen sehr leicht hätte verhindern können. Diese Gegenmaßnahmen nun selbst für weitere Gegen-Gegen-Maßnahmen – denen natürlich wiederum russische Gegen-Gegen-Gegen-Maßnahmen folgen werden – in Anspruch zu nehmen, stellen den Höhepunkt westlicher Heuchelei dar.
Daß man die Chronologie dieser neuen Rüstungsspirale im Kurz- und Mittelstreckenbereich regierungsamtlich wohlweislich verschweigt, ist natürlich kein Zufall; sonst könnten ja – nicht auszudenken! – der Bevölkerung ganz grundsätzliche Zweifel an der westlichen „Sicherheitspolitik“ kommen…
Die „Begründungen“, die statt dessen geliefert werden, sind in ihrer Dreistigkeit und ihrem Kitsch nichts anderes als eine Beleidigung für den gesunden Menschenverstand. Und daß die sogenannten „Qualitätsmedien“, statt dies zu entlarven, im selben Orwell-Sprech – „Waffen, auch aus Deutschland, helfen, pazifistische Grundsätze durchzusetzen“ – mithelfen, verschlägt einem die Sprache.
Mit einem Wort: Mit vierzigjähriger Verspätung sind wir alle nun tatsächlich und endgültig im Jahre 1984 angekommen!
Halten wir fest: Diese Regierung hat fertig. Sie ist moralisch restlos verkommen und man könnte gen Himmel flehen, sie lieber heute als morgen endlich auf das verdiente Altenteil zu katapultieren – würde sich denn am Horizont zumindest eine halbwegs akzeptablere realistische Alternative abzeichnen!
Aber die gibt es vorläufig nicht. Die Einen interessiert Frieden nicht, sie sind mit sich selbst beschäftigt. Und die Anderen reden zwar von Frieden, sind aber ansonsten Neokonservativ und ausländerfeindlich und damit auch keine Alternative.
Bleibt als Alternative nur daß jeder einzelne lautstark seinen Anteil dazu beiträgt, die Friedensbewegung erkennbar zu stärken und damit ein Zeichen zu setzen. Die nächste Möglichkeit dazu ist die Bundesweite Demonstration am 3. Oktober in Berlin. Nähere Informationen können sie dem eingeblendeten Link entnehmen.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.