Sendung 192 vom 25.11.2010
Guten Tag liebe Zuschauerinnen und Zuschauer. Ich begrüße Sie zu einer weiteren Folge von „Die Vergessenen dieser Welt!“ Die heutige Sendung ist übertitelt mit: Das Wiedererwachen des deutschen Militarismus.
Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat letzte Woche eine neue „Gefechtsmedaille“ für die Bundeswehr eingeführt. Presseberichte bezeichnen sie auch als „Kämpfer-Orden“. Mit ihm werden Soldaten ausgezeichnet, die „mindestens einmal aktiv an Gefechtshandlungen teilgenommen oder unter hoher persönlicher Gefährdung terroristische oder militärische Gewalt erlitten“ haben. Er kann auch posthum an gefallene Soldaten verliehen werden.
Der neue Orden ist symptomatisch für die grundlegende Verwandlung, die die Bundeswehr seit der deutschen Vereinigung vor zwanzig Jahren durchgemacht hat.
Die Bundeswehr war 1955 gegen massiven Protest und Widerstand gegründet worden. Hitlers Wehrmacht war 1945 von den Siegermächten aufgelöst worden, nachdem sie in einem Angriffskrieg halb Europa in Schutt und Asche gelegt und Millionen Menschen umgebracht hatte. Breite Bevölkerungsschichten wollten danach nichts mehr von Krieg und Militarismus wissen.
Um gesellschaftlich akzeptiert zu werden, musste sich die Bundeswehr auf defensive Aufgaben beschränken. Sie stand an der europäischen Frontlinie des Kalten Krieges und hätte im Fall eines wirklichen Kriegs hohe Verluste zu erleiden gehabt.
Krieg, Kämpfen und Töten galten daher nicht als Zweck der Bundeswehr, sondern als etwas, das es zu vermeiden galt. Ideal des Soldaten sollte nicht der Frontkämpfer, sondern der „Bürger in Uniform“ sein; an die Stelle des willenlosen Befehlsempfängers sollte – zumindest in der Theorie – der politisch mündige Soldat treten. Für das Offizierskorps galt das Primat der Politik.
Das hat sich seit der deutschen Vereinigung gründlich geändert. Die Einführung eines neuen Ordens ist Ausdruck dieser Veränderung. „Schon lange hört man nur noch wenig vom Bürger in Uniform, dafür immer mehr vom Kämpfer für deutsche Interessen in aller Welt. Und gute Kampfsoldaten brauchen nicht nur eine ordentliche Ausrüstung, sondern auch Anerkennung“, bemerkte die Frankfurter Rundschau dazu treffend.
Schon kurz nach der Wiedervereinigung waren die Ziele der Bundeswehr in den offiziellen verteidigungspolitischen Richtlinien neu definiert worden. Zu ihren Aufgaben gehörten neben der Landesverteidigung nun auch die „Förderung und Absicherung weltweiter politischer, wirtschaftlicher, militärischer und ökologischer Stabilität“ sowie die „Aufrechterhaltung des freien Welthandels und des Zugangs zu strategischen Rohstoffen“.
1994 ebnete das Bundesverfassungsgericht dann den Weg für weltweite Einsätze der Bundeswehr, indem es die Verfassung überraschend völlig neu interpretierte. 1998 gab die gerade gewählte rot-grüne Bundesregierung grünes Licht für den ersten internationalen Kampfeinsatz im Jugoslawienkrieg. Seither sind Bundeswehrsoldaten an zahlreichen Konfliktherden der Welt präsent.
Der derzeitige Verteidigungsminister Karl-Theodor von und zu Guttenberg (CSU) hat nun die Aufgabe übernommen, die Verwandlung der Bundeswehr aus einer territorialen Verteidigungsarmee in eine imperialistische Interventionsstreitmacht zu vollenden. Seine Reformpläne beinhalten den Abbau ziviler Verwaltungsstrukturen, die Stärkung der militärischen Befehlsstränge und eine Verschlankung der Truppe bei gleichzeitiger Erhöhung der Anzahl Soldaten, die für internationale Einsätze verfügbar sind. Mit der Aussetzung der Wehrpflicht verwandelt er die Bundeswehr de facto in eine Berufsarmee.
Guttenberg setzt sich auch offensiv für die Verteidigung deutscher Wirtschaftsinteressen mit militärischen Mitteln ein. Bisher hatten Politiker diese Frage heruntergespielt, obwohl sie in den verteidigungspolitischen Richtlinien längst festgeschrieben war.
Noch hat die Bundeswehr einen weiten Weg zu gehen, um an die Schlagkraft früherer deutscher Armeen anzuknüpfen. Mit jährlich 46 Mrd. Dollar machen die deutschen Militärausgaben gerade ein Zwölftel der amerikanischen aus. Auch gemessen an der Wirtschaftsleitung gibt Deutschland mit 1,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts weit weniger aus als die USA (4 Prozent) oder Frankreich (2,3 Prozent) und England (2,2 Prozent), die zusammen für die Hälfte der europäischen Militärausgaben aufkommen. Doch die Weichen sind gestellt. Es bedarf nur noch eines erschütternden Ereignisses, um den weit verbreiteten Widerstand zu durchbrechen, der einer starken Erhöhung der Ausgaben für die neu ausgerichtete Bundeswehr bisher im Wege steht.
Das Wiedererwachen des deutschen Militarismus 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ist eine Entwicklung von weltpolitischer Bedeutung. Es ist untrennbar mit der tiefen Krise des Weltkapitalismus verbunden. Während sich die Finanz- und Wirtschaftskonflikte zwischen den Großmächten verschärfen, ist der Militarismus überall auf dem Vormarsch.
Die USA versuchen seit langem, ihr sinkendes wirtschaftliches Gewicht durch den Einsatz ihrer militärischen Übermacht auszugleichen. Ihre wirtschaftlichen Rivalen in Europa und Asien reagieren, indem sie ihrerseits aufrüsten und – in den Worten Guttenbergs – den „engen Zusammenhang zwischen Sicherheit und Wirtschaftsinteressen“ betonen.
Schon der Erste und der Zweite Weltkrieg erfolgten „unerbittlich aus den Widersprüchen der internationalen kapitalistischen Interessen“. Ein weiterer Weltkrieg ist unausweichlich, wenn die Bevölkerung den Kriegstreibern nicht rechtzeitig entgegentritt und den Kampf für eine auf Frieden und ohne Bundeswehr basierende Umgestaltung der Gesellschaft aufnimmt.
Guten Tag