Sendung 622 vom 10.08.2023
Herzlich Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Niger ist eines der vier Binnenländer in der sogenannten Sahelzone Afrikas (Niger, Mali, Burkina Faso, Tschad). Am 26. Juli hat es dort einen Staatsstreich gegeben, der von den USA, der EU und der Afrikanischen Union sofort verurteilt wurde. De facto handelt es sich um einen Militärputsch gegen den nach der Geige Frankreichs tanzenden Präsidenten Mohamed Bazoum. Das Land ist reich an Bodenschätzen, profitiert aber kaum davon, weil der Bergbau nach wie vor von der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich dominiert wird. Und die USA haben in Niger mehrere Militärbasen. Es lohnt sich, genauer hinzusehen.
Am 26. Juli 2023 um 3 Uhr morgens nahm die Präsidentengarde Präsident Mohamed Bazoum in Niamey, der Hauptstadt von Niger, fest. Die Truppen schlossen die Grenzen des Landes und verhängten eine Ausgangssperre. Der Staatsstreich wurde sofort von der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten, der Afrikanischen Union und der Europäischen Union verurteilt. Sowohl Frankreich als auch die USA, die über Militärstützpunkte in Niger verfügen, erklärten, daß sie die Situation genau beobachten.
Ein Gefecht zwischen der Armee und der Präsidentengarde bedrohte die Hauptstadt, wurde jedoch bald wieder beendet. Am 27. Juli gab die Armee eine Erklärung ab, in der sie mitteilte, er werde die Situation akzeptieren, um „eine tödliche Konfrontation zwischen den verschiedenen Kräften zu vermeiden, die zu einem Blutbad führen könnte …“. Brigadegeneral Tchiani verkündete am 28. Juli im Fernsehen, daß er der neue Präsident des Nationalen Rates für den Schutz des Vaterlandes (CNSP) sei.
Der Putsch in Niger folgt auf ähnliche Putsche in Mali (August 2020 und Mai 2021), Burkina Faso (Januar 2022 und September 2022) und Guinea (September 2021). Jeder dieser Putsche wurde von Militärs angeführt, die über die Anwesenheit französischer und US-amerikanischer Truppen und die ständigen Wirtschaftskrisen in ihren Ländern verärgert waren. Diese Region Afrikas – die Sahelzone – ist mit einer Kaskade von Krisen konfrontiert: die Austrocknung des Landes aufgrund der Klimakatastrophe, der Anstieg der islamischen Militanz aufgrund des NATO-Krieges in Libyen 2011, die Zunahme von Schmugglernetzwerken, die Waffen, Menschen und Drogen durch die Wüste schmuggeln, die Aneignung natürlicher Ressourcen – einschließlich Uran und Gold – durch westliche Unternehmen, die für diese Reichtümer einfach nicht angemessen bezahlt haben, und die Verankerung westlicher Streitkräfte durch die Errichtung von Stützpunkten und den Betrieb dieser Armeen im rechtsfreien Raum.
Zwei Tage nach dem Staatsstreich gab der CNSP die Namen der zehn Offiziere bekannt, die den CNSP führen werden. Sie kommen aus dem gesamten Spektrum der Streitkräfte, von der Armee über die Luftwaffe bis zur nationalen Polizei. Inzwischen ist klar, daß eines der einflußreichsten Mitglieder des CNSP General Salifou Mody ist, ehemaliger Generalstabschef des Militärs und Führer des Obersten Rates für die Wiederherstellung der Demokratie, der den Putsch gegen Präsident Mamadou Tandja im Februar 2010 anführte und der bis zum Sieg von Bazoums Vorgänger Issoufou bei den Präsidentschaftswahlen 2011 Niger regierte. Während Issoufous Amtszeit errichtete die US-Regierung die weltweit größte Drohnenbasis in Agadez und die französischen Spezialeinheiten besetzten die Stadt Irlit im Auftrag des Uranbergbau-Unternehmens Orano (das früher zu Areva gehörte).
Eine gut informierte Quelle in Niger sagt, daß der Grund, warum das Militär gegen Bazoum vorgegangen ist, der ist, daß „er korrupt ist, eine Marionette Frankreichs. Die Nigrer hatten die Nase voll von ihm und seiner Bande. Sie sind dabei, die Mitglieder des abgesetzten Systems zu verhaften, die öffentliche Gelder veruntreut haben und von denen viele in ausländische Botschaften geflüchtet sind.“ Die Korruption ist in Niger, einem Land mit einem der lukrativsten Uranvorkommen der Welt, allgegenwärtig. Bei der „Korruption“, von der in Niger die Rede ist, geht es nicht um kleine Bestechungsgelder von Regierungsbeamten, sondern um eine ganze Struktur, die während der französischen Kolonialherrschaft entwickelt wurde und die Niger daran hindert, die Souveränität über seine Rohstoffe und seine Entwicklung zu erlangen.
Im Mittelpunkt der „Korruption“ steht das so genannte „Joint Venture“ zwischen Niger und Frankreich, die „Société des mines de l’Aïr“ (Somaïr), die die Eigentümerin und Betreiberin der Uran-Industrie im Lande ist. Auffallend ist, daß Somaïr zu 85 Prozent im Besitz der französischen Atomenergiekommission und zweier französischer Unternehmen ist, während nur 15 Prozent im Besitz der nigrischen Regierung sind. Niger produziert mehr als 5 Prozent des weltweiten Urans, aber sein Uran ist von besonders hoher Qualität. Die Hälfte der Exporteinnahmen Nigers stammt aus dem Verkauf von Uran, Öl und Gold. Bildhaft gesprochen wird eine von drei Glühbirnen in Frankreich mit Uran aus Niger betrieben, während gleichzeitig 42 Prozent der Bevölkerung des afrikanischen Landes unterhalb der Armutsgrenze leben.
Die Menschen in Niger haben jahrzehntelang zusehen müssen, wie ihnen ihr Reichtum durch die Finger glitt. Als Zeichen der Schwäche der Regierung hat Niger im Laufe des letzten Jahrzehnts in nur zehn Schiedsverfahren, die von multinationalen Unternehmen vor dem Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (International Centre for Settlement of Investment Disputes) und der Internationalen Handelskammer (International Chamber of Commerce) angestrengt wurden, über 906 Millionen Dollar verloren.
Frankreich hat die Verwendung des Franc im Jahr 2002 eingestellt, als es zum Euro überging. Vierzehn ehemalige französische Kolonien verwendeten jedoch weiterhin den „Communauté Financière Africaine“ (CFA), was Frankreich immense Vorteile verschafft (50 Prozent der Reserven dieser Länder müssen in der französischen Staatskasse gehalten werden, und Frankreichs Abwertungen des CFA – wie 1994 – haben katastrophale Auswirkungen auf die Länder, die ihn verwenden). Im Jahr 2015 sagte der Präsident des Tschad, daß der CFA „die afrikanischen Volkswirtschaften nach unten zieht“ und daß es „an der Zeit ist, die Schnur zu kappen, die Afrika an der Entwicklung hindert“. In der Sahelzone wird jetzt nicht nur über den Abzug der französischen Truppen gesprochen – wie in Burkina Faso und Mali geschehen –, sondern auch über einen Bruch mit der französischen Wirtschaftsmacht in der Region.
Auf dem Rußland-Afrika-Gipfel 2023 im Juli in Petersburg trug der Präsident von Burkina Faso, Ibrahim Traoré, eine rote Baskenmütze, die an die Uniform des ermordeten sozialistischen Führers seines Landes, Thomas Sankara, erinnerte. Traoré reagierte scharf auf die Verurteilung der Militärputsche in der Sahelzone, auch auf den jüngsten Besuch einer Delegation der Afrikanischen Union in seinem Land. „Ein Sklave, der nicht rebelliert, hat kein Mitleid verdient“, sagte er. „Die Afrikanische Union muß aufhören, Afrikaner zu verurteilen, die sich entscheiden, gegen ihre eigenen Marionettenregime des Westens zu kämpfen.“
Im Februar war Burkina Faso Gastgeber eines Treffens, an dem auch die Regierungen von Mali und Guinea teilnahmen. Auf der Tagesordnung stand die Schaffung einer neuen Föderation dieser Staaten. Es ist wahrscheinlich, daß Niger zu diesen Gesprächen nun auch eingeladen werden wird.
Die Entwicklung in diesem afrikanischen Land wird auch weiterhin spannend und interessant bleiben.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder!