Sendung 614 vom 25.05.2023
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Der rechte griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis und seine Nea Dimokratia haben einen Wahlsieg eingefahren, der für griechische Verhältnisse seinesgleichen sucht. Die Frage ist, warum? Die Bilanz dieses Sohns einer stinkreichen, über die Jahrzehnte immer mächtiger gewordenen „Politikerdynastie“ las sich in den vier Jahren seiner auch mit Faschisten besetzten Regierung bisweilen wie ein Katastrophenbericht: ein Lauschangriff der von ihm kontrollierten Geheimdienste auf mehr als 300 prominente Landsleute, unter ihnen einige seiner eigenen Minister. Ein schweres Zugunglück mit 57 toten jungen Menschen, die starben, weil die privatisierte griechische Eisenbahn kaputtgespart wurde. Eine Gesetzgebung, die letzte Naturreservate zur kapitalistischen Verwertung freigab: Genehmigungen für Strandhotels, von denen auch Mitsotakis’ Schwester Dora Bakogianni profitierte, Lizenzen zur Ausbeutung von Bodenschätzen für ausländische „Investoren“ und zum Bau gewaltiger Autobahnen – Korruptionsprojekte par excellence …
Es scheint, daß Lew Tolstoi (1828–1910) richtig lag mit seiner geradezu visionären Einschätzung im Glauben an die „Demokratie“ erzogener Wahlberechtigter: „Ein Volk, das sich der Regierung unterwirft, kann nicht vernünftig sein, denn diese Unterwerfung an und für sich ist ein Zeichen von Mangel an Vernunft.“ In der Tat hat eine relative Mehrheit der rund 58 Prozent jener Griechen, die am Sonntag ihren Wahlzettel abgaben, nicht nur gegen jede Vernunft die alte und höchstwahrscheinlich auch neue Regierung unterstützt, sondern sich unterworfen.
Dem seit zehn Jahren wegen eines Schlaganfalls gehbehinderten früheren Maurer Pandelis M. beispielsweise wurde 2016 im Rahmen der Brüsseler „Rettungsmaßnahmen“ für die „Pleitegriechen“ die Behindertenrente von 580 auf 390 Euro gekürzt. Doch er wählte Mitsotakis, weil der bei den Geldgebern in Brüssel, Berlin und Paris „geachtet“ und „einflußreich“ sei – im Gegensatz zum „linken“ Alexis Tsipras. Nur ein Beispiel, aber eines, nach dessen Muster so viele Griechen wählten – selbst wenn sie eher mit dem (einflußlosen) Kommunisten Dimitris Koutsoumbas oder dem MERA-25-Chef Yanis Varoufakis glücklicher gewesen wären. Mitsotakis verspreche „Sicherheit“, sagte der sozialistische Bauer Nikos B.
Mehr als 40 Prozent der zehn Millionen Wahlberechtigten waren nicht dieser Meinung. Vor allem die rebellische junge Generation, um die sich der Staat von jeher einen Dreck schert, verzichtete auf ihr Recht, den nächsten, womöglich noch schlimmeren Regierungschef und dessen Höflinge zu legalisieren. Die meisten von ihr haben begriffen und erlitten, wie nicht einmal ein Promille des ungeheuren Profits, den Mitsotakis’ geschätzte „Investoren“ in den vergangenen vier Jahren erzeugten und als Erfolg der Regierung feierten, unten bei ihnen ankam.
Dies führt dann dazu, daß es denen die am hilfsbedürftigsten und am schwächsten sind am schlechtesten geht. So wiesen in einer Pressemitteilung die Hilfsorganisationen Europe Cares e. V., Paréa Lesvos, LeaveNoOneBehind und Europe Must Act – Germany Must Act am Montag auf die Notlage von Menschen auf der Flucht auf der griechischen Insel Lesbos hin.
Am Donnerstag, dem 18. Mai 2023, hat sich das griechische Migrationsministerium dazu entschieden, den Zugang zu Nahrung für Menschen im Camp „Mavrovouni“ einzuschränken. Seit Freitag, dem 19. Mai 2023, haben nur noch Menschen mit einem laufenden Asylverfahren Zugang zu Essen und Wasser erhalten. 571 Menschen wird somit das Recht auf Nahrung verweigert. Aktuell leben mehr als 2.500 Menschen im Closed Control Access Center (CCAC) Mavrovouni auf Lesbos.
Nicht alle befinden sich in einem laufenden Asylverfahren. Doch auch die Menschen, die einen negativen oder positiven Bescheid erhalten, haben meist keine andere Wahl, als für einige Zeit weiter im Camp zu leben. (…) Beide Gruppen können das Camp nicht einfach verlassen, sie wären obdachlos, ohne Einkommen oder Nahrung. Mit der Durchsetzung der Regelung sollen die Menschen jetzt genau dazu gezwungen werden. (…)
Damit verweigert nicht nur die griechische Regierung selbst, Verantwortung für eine basale Grundversorgung von Menschen auf der Flucht zu übernehmen – sie verhindert darüber hinaus auch Hilfeleistungen durch NGOs. Das bedeutet: Eindeutiges Ziel der Maßnahmen ist, die Menschen bewußt hungern zu lassen. (…)
Doch das ist nichts neues. Seit im Jahr 2015 das Bild eines toten syrischen Jungen an einem türkischen Strand in der Bevölkerung Erschütterung und Wut ausgelöst hatte, werden aufgrund der Politik der Regierungen regelmäßig tote Kinder an den Küsten angespült. Im November 2020 wurde die Leiche eines Fünfjährigen an der Küste der griechischen Insel Samos gefunden. Sein Vater hatte ihn verloren, als ihr Boot an den Felsen gekentert war. Ihm drohen jetzt zehn Jahre Haft, weil ihm vorgeworfen wird, er habe das Leben seines Sohnes gefährdet. Die Leiche seines Sohnes mußte er in Handschellen identifizieren.
Einen Monat später wurden die Leichen von vier Kindern zwischen fünf und zehn Jahren an einem Strand westlich der libyschen Hauptstadt Tripolis gefunden. Fünf Monate später wurden drei weitere Kinder, darunter ein sechs Monate altes Baby und ein Dreijähriger, tot am gleichen Küstenabschnitt aufgefunden. Noch einen Monat später entdeckte man einen ertrunkenen Einjährigen an der norwegischen Küste, dessen Familie von Frankreich nach Großbritannien gelangen wollte.
Im Mai 2021 veröffentlichte der Guardian eine Analyse, in der er 2.000 Todesfälle mit den völkerrechtlich illegalen Pushback-Operationen der EU in Verbindung brachte, mit denen Flüchtlinge von den europäischen Grenzen ferngehalten werden sollen, einschließlich der Anwendung von Gewalt und Demütigung. Das ist jedoch nur die Spitze eines Eisbergs des Leids. Die schlimmsten Mißhandlungen finden in Libyen und Tunesien statt, wo Flüchtlingsschiffe abgefangenen und Flüchtlinge in Lagern interniert werden, in denen Folter, Vergewaltigung, Erpressung, Mord und Sklaverei an der Tagesordnung sind.
Und die Antwort der EU? Sie wird die asylverfahren an die EU-Außengrenzen verlagern, damit erst „gar keine Asylsuchenden EU-boden betreten“.
Enden möchten wir darum mit einem Zitat von Kurt Tucholsky:
Wenn Wahlen etwas änderten, wären sie längst verboten.
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.