Sendung 560 vom 30.09.2021
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Nichts geändert hat sich an der aggressiven US-Politik in Afghanistan. Nach 20 Jahren „War on Terror“ sind die USA aus Afghanistan abgezogen. Die Taliban haben, wie zu erwarten war, die Macht übernommen. Der Krieg „endete“, wie er begann: Mit einem Drohnenschlag, bei dem vermeintlich Terroristen liquidiert wurden, bei dem aber die USA am Ende doch keinen Schimmer hatten, wen sie hier gerade töten. Beim Drohnenangriff am 29. August wurden nicht zwei „hochrangige“ ISIS-Funktionäre getötet, sondern zehn Zivilisten, sieben Kinder darunter. Mit der Verkündung seiner „Über-den- Horizont“-Strategie hat US-Präsident Biden nun klargemacht, daß das Drohnenmorden auch über den Truppenabzug hinaus in alle Ewigkeit weitergehen wird – Afghanistan: der Krieg, der niemals endet.
Der US-Drohnenangriff in Kabul am 29. August war ein Akt der Blutrache – Vergeltung für den verheerenden Anschlag am Kabul Airport drei Tage zuvor, den ISIS-K für sich beanspruchte. Bei jenem abscheulichen Blutbad am Flughafen am 26. August sprengte sich ein Selbstmordattentäter selbst in die Luft – inmitten tausender Menschen, die verzweifelt ins Flughafenareal gelangen wollten, um nach der Machtübernahme der Taliban aus dem Land evakuiert zu werden. Mindestens 169 afghanische Zivilisten wurden hierbei getötet sowie 13 US-Soldaten – die ersten in Afghanistan getöteten US-Militärs seit Februar 2020 und der bezüglich US-Personal opferreichste Anschlag seit über einer Dekade.
Vor-Ort-Untersuchungen ergeben auch hier einen etwas anderen Hergang der Ereignisse: Nach investigativen Recherchen erheben unter anderem der BBC-Journalist Secunder Kermani sowie der australische Fotojournalist Andrew Quilty den schweren Vorwurf, viele der 182 Todesopfer seien nicht durch den Selbstmordattentäter gestorben – ohnehin eine präzedenzlos hohe Opferzahl für einen einzigen Sprengstoffgürtel – sondern durch nach der Detonation in Panik um sich schießende US-Soldaten. Neben diversen Zeugenaussagen stützen klare Indizien diese These, etwa von den beiden Reportern berichtete, steil von oben nach unten verlaufende Einschußkanäle von Gewehrsalven in mehreren Getöteten. Diese deuten klar darauf hin, daß die Schüsse nicht vom Boden aus von ISIS-Kämpfern abgefeuert wurden – was die US-Regierung behauptet – sondern von US-Soldaten auf Brücken und Wachtürmen.
Der mörderische Anschlag von ISIS-K diente einzig einem Ziel: noch einmal den Trieb zur Rache provozieren, noch ein letztes Massaker Washingtons, das propagandistisch ausgeschlachtet werden kann. Und Biden – der US-Präsident kann nun mal nicht aus seiner Haut – tappte bereitwillig in die Falle der Dschihadisten. „Wir werden Jagd auf euch machen. Und ihr werdet dafür bezahlen“, so Biden martialisch an die Adresse von ISIS-K.
Der Drohnenschlag, dieser vorerst letzte Akt Washingtons auf der Kabuler Bühne, steht so bitter und exemplarisch für 20 Jahre Afghanistan, für 20 Jahre US- amerikanisches Verbrechertum: Lügen, Kriegsverbrechen, Leichenberge.
Wer meinte, US-Feindseligkeiten in Afghanistan würden mit dem Abzug der Streitkräfte zum 1. September ein Ende finden, wurde rasch eines Besseren belehrt. Unmittelbar nach dem erfolgten Abzug hielt Präsident Biden eine schwülstig-militaristische Rede, in der er zwar großspurig das „Ende einer Ära großangelegter Militäroperationen“ verkündete: „Meine lieben Amerikaner, der Krieg in Afghanistan ist jetzt zu Ende.“ Doch dann droht Biden, scheinbar ohne den offensichtlichen Widerspruch in seinen Worten erkennen zu wollen, jenen Afghanen, die künftig „Amerika schaden“ wollen: „Die Vereinigten Staaten werden niemals ruhen. … Wir werden euch bis ans Ende der Welt jagen.“
Die Auflösung des Widerspruchs, Krieg zu führen, ohne Krieg zu führen, nennt Biden „Über- den-Horizont-Fähigkeiten“ („over-the-horizon capabilities“) und meint damit: „Wir können Terroristen und Ziele angreifen, ohne amerikanische boots on the ground.“ Luftschläge in Afghanistan, koordiniert von Militärbasen außerhalb des Landes also – Drohnen.
In Bezug auf die Effektivität dieser „Fähigkeiten“ verweist Biden im nächsten Satz auf den oben exerzierten Drohnenschlag in Kabul, bei dem er sieben Kinder tötete. Darauf können sich die Kinder, Frauen und Männer in Afghanistan in Zukunft also einstellen: zwar keine Okkupation ihres Landes mehr, keine boots on the ground mehr, doch dafür Luftschläge in dicht besiedelten Wohnvierteln, drohnentote Zivilisten. „Menschenrechte“, so versichert der US-Präsident weiter, „stehen im Zentrum unserer Außenpolitik“. Man muß hier unbedingt das Völkerrecht ins Spiel zu bringen, denn diese künftigen Luftschläge werden ohne Frage illegal sein: Schließlich werden die Taliban als De-facto-Herrscher des Landes – anders als die Marionettenregierungen Karzai und Ghani in den 20 Jahren zuvor – den USA gewiß keine offizielle Erlaubnis erteilen, das Land am Hindukusch zu bombardieren.
Daß sich die neuen „Über-den-Horizont-Fähigkeiten“ keineswegs auf Afghanistan beschränken, sondern eher global verstanden werden sollen, machte US- Verteidigungsminister Lloyd Austin jüngst auf einer Pressekonferenz in Doha klar: „Es gibt keinen Flecken Erde, den wir nicht erreichen und anpacken können, wenn wir das müssen“, umschreibt Austin das Ausmaß der neuen Strategie und damit den Anspruch der USA, überall auf der Welt zu jedem beliebigen Zeitpunkt Luftschläge durchführen zu können, wenn dies im Interesse Washingtons ist.
Der Teufel zeigt seine wahre Fratze!
Der erste Drohnenschlag der Menschheitsgeschichte ereignete sich am 7. Oktober 2001 in der südafghanischen Provinz Kandahar. Keine vier Wochen nach den Anschlägen vom 11. September feuerte Bushs CIA mit einer Predator-Drohne auf das Haus des sagenumwobenen Taliban-Gründers Mullah Omar, der während der ersten Herrschaft der Taliban 1996–2001 der De-facto-Präsident des Islamischen Emirats Afghanistan war. Die USA behaupteten zunächst, Omar sei im Drohnenfeuer getötet worden, doch starb er mehr als eine Dekade später eines natürlichen Todes, vermutlich an Tuberkulose. (Kein Talib ist in den folgenden Jahren derart oft „getötet“ worden wie Mullah Omar …)
Es ist bezeichnend für 20 Jahre US-Krieg in Afghanistan, daß der erste Kriegsakt und der vermeintlich letzte sich derart ähneln: Die US-Führung hat schlicht keinen Schimmer, wen sie mit ihrem Hightech-Werkzeug in den Tod reißt. Und mit seiner jüngsten Ankündigung beweist Joe Biden einmal mehr seine Unbelehrbarkeit und versichert, daß dieser Irrsinn „über den Horizont“ hinaus bis in alle Ewigkeit weitergehen wird – Afghanistan: der Krieg, der niemals endet.
Trübe Aussichten für den Weltfrieden!
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.