Sendung 555 vom 12.08.2021
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Beschäftigte mancher Branchen können sich keinen Wohnraum in der Nähe ihrer Arbeitsstätten mehr leisten – und bei ALG-II-Beziehern zahlt der Staat Mieterhöhungen mit.
„Keine Rendite mit der Miete – Für eine neue Wohngemeinnützigkeit“ heißt eine kürzlich von den Gewerkschaften IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und ver.di herausgegebene Broschüre. Das Thema ist für ihre Zielgruppe virulent, denn Beschäftige vieler Branchen haben während der Corona-Krise Einkommen verloren. Auf dem Gewerbemietmarkt hat sich die Pleitewelle insofern ausgewirkt, als die Eigentümer Ladenflächen nicht mehr wie selbstverständlich zu ihren Wunschpreisen vermietet bekommen. Um bis zu 40 Prozent günstiger werden Ladenflächen zum Beispiel in Hamburg angeboten.
Bei den Wohnungsmieten sieht es anders aus. „Im Einzelhandel nehmen Teilzeit, Minijobs und schlechte Stundenlöhne seit vielen Jahren zu. Gleichzeitig explodieren die Mieten – und zwar vor allem dort, wo es besonders viele Geschäfte gibt: In den Großstädten“, sagt Kristina Kroß, Betriebsrätin im Berliner Lebensmittel-Einzelhandel, die in der Gewerkschaftsbroschüre zu Wort kommt. „Es darf nicht sein, daß die Beschäftigten im Handel immer weitere Anfahrtswege haben, weil sie sich das Wohnen in der Nähe ihres Arbeitsplatzes nicht mehr leisten können.“
Die Teilzeitkräfte sind zum Teil Aufstockerinnen und Aufstocker. Bei ihnen und bei Erwerbslosen zahlt auch der Staat die steigenden Mieten mit – jedenfalls bis zu einer ortsabhängigen Obergrenze. Die Differenz zur tatsächlichen Miete muß sonst eben aus dem Regelsatz bezahlt werden, der für Ernährung, Kleidung, Hygiene, Mobilität, Post und Telekommunikation schon knapp bemessen ist.
Weil der Staat aber in der Regel die Mieten der Bezieher von Arbeitslosengeld II begleicht, müßten Jahr für Jahr steigende Summen aufgewendet werden, die besser in der Wohnungsbauförderung angelegt wären, kritisierte der IG-BAU-Vorsitzende Robert Feiger. „Insgesamt kostet die drastische Steigerung der Mieten bei den Wohnungen von Hartz-IV-Empfängern knapp zwei Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr“, so Feiger. „Das ist das Geld, das Bund und Kommunen über die Job-Center für die Kosten der Unterkunft mehr ausgeben müssen, weil die Mieten in den letzten sechs Jahren um rund 30 Prozent rasant nach oben gegangen sind.“
Die Gewerkschaft bezieht sich auf Berechnungen des Pestel-Instituts, nach denen Kaltmieten für einfache Wohnungen im Bundesdurchschnitt von Januar 2015 bis März 2021 um fast 30 Prozent auf 7,05 Euro gestiegen seien. Da sich die allgemeinen Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum „nur“ um 9,1 Prozent erhöht hätten, zahle der Staat jeden Monat 164,4 Millionen Euro mehr, als die Mieten gekostet hätten, wenn sie proportional zu den Verbraucherpreisen gestiegen wären. Das seien pro Jahr fast zwei Milliarden Euro.
„Wenn der Staat durch eine effektivere Wohnungsbaupolitik für mehr Neubau vor allem von bezahlbaren Wohnungen und von Sozialmietwohnungen gesorgt hätte, dann würde es auch mehr preisgünstige Wohnungen auf dem Markt geben“, so Feiger.
In den letzten 35 Jahren wurden aber nicht nur die Fördergelder für den Sozialen Wohnungsbau reduziert – es fielen auch immer mehr Sozialwohnungen aus der Preisbindung. Von 1986 bis heute sank ihre Zahl von rund 3,4 Millionen auf rund eine Million.
In der alten Bundesrepublik bedeutete Wohnungsgemeinnützigkeit, daß sich Unternehmen verpflichteten, alle ihre Wohnungen auf Dauer zu beschränkten Preisen zu vermieten, die auszuschüttende Rendite auf vier Prozent zu begrenzen und das Firmenvermögen nur für den Wohnungsbau einzusetzen. Dafür waren sie von der Körperschafts-, Gewerbe- und Vermögensteuer sowie in einigen Bundesländern auch von der Grunderwerbsteuer befreit.
In den 1980er-Jahren hieß es dann aber, durch die Regelung gingen Steuereinnahmen verloren – und die Wohnungsnot der Nachkriegszeit sei schließlich überwunden. So kam es das „Gesetz zur Überführung der Wohnungsgemeinnützigkeit in den allgemeinen Wohnungsmarkt“ zustande – und nun fallen öffentlich geförderte Sozialwohnungen nach 15 bis 25 Jahren aus der Preisbindung heraus.
Die Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit war ein schwerer Fehler. Durch das damalige Steuerreformgesetz wurde das Prinzip der Gemeinnützigkeit auf dem Wohnungsmarkt abgeschafft, was den Bund, Länder und viele Kommunen dazu veranlaßt hat, ihre Bestände gewinnorientiert zu restrukturieren oder massenhaft Wohnungen auch zu privatisieren. Gemeinwohlorientiertes, mieterfreundliches Verhalten wird seither nicht mehr belohnt.
Die private Wohnungswirtschaft ist nicht in der Lage und wirtschaftlich auch nicht daran interessiert, die gravierenden Probleme der sozialen Wohnraumversorgung zu beheben. Im Gegenteil, die großen privaten Wohnungskonzerne verursachen und verschlimmern die Probleme, wenn sie ehemals gemeinnützige und öffentliche Wohnblöcke aufkaufen, teuer modernisieren und die Mieten deutlich erhöhen. Die Herausforderung, die für den Klimaschutz dringend notwendige ökologische Gebäudesanierung nicht allein auf Kosten der Mieterinnen und Mietern zu bewerkstelligen, ist mit einer rein renditeorientierten Wohnungswirtschaft nicht zu bewältigen.
Wohnen ist ein Menschenrecht. Auf dem Wohnungsmarkt muß gelten: Gemeinwohl vor Rendite. Dafür muß ein nicht-profitorientierter, gemeinnütziger Sektor auf dem Wohnungsmarkt etabliert werden, der die Rettung des sozialen Wohnungsbaus mit dauerhaft günstigen Wohnungen ermöglicht. Wohnen muß in erster Linie wieder als Bereich der Daseinsfürsorge anerkannt werden. Die Stadt Wien beweist, daß mit einem großen gemeinwohlorientierten Sektor auf dem Wohnungsmarkt, der nicht nur einkommensarmen Haushalten, sondern auch weiten Teilen der Mittelschicht zu Gute kommt, das Mietniveau und die Wohnkostenbelastung deutlich geringer ausfällt, als in vergleichbaren deutschen Städten. So liegen die Wohnkosten in Wien bei durchschnittlich 21 Prozent des Nettohaushaltseinkommens, in Berlin jedoch bei 31 Prozent, in München sogar bei 36 Prozent.
Darum muß eine neue Wohnungsgemeinnützigkeit eingeführt werden!
Die Schaffung eines gemeinnützigen Wohnungssektors ist wohnungspolitisch sinnvoll und ein wichtiger Beitrag zur Krise der sozialen Wohnraumversorgung. Anstatt in Zeiten von explodierenden Mietpreisen weiter Milliarden in Wohngeld und Kosten der Unterkunft fließen zu lassen und damit die Profite der Vermieterinnen und Vermieter zu subventionieren, könnte ein Großteil dieser Ausgaben in die Förderung dauerhaft günstiger Mietwohnungen investiert werden. Menschen mit geringen und durchschnittlichen Einkommen könnten sich so in vielen Fällen ohne Inanspruchnahme von Transferleistungen selbstbestimmt mit Wohnraum versorgen.
Dafür sollte sich jeder Bürger und vor allem Wähler einsetzen!
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder