Sendung 547 vom 27.05.2021
Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Menschenrechtsorganisationen erheben schwere Vorwürfe gegen die spanischen Grenzbehörden wegen ihres Vorgehens gegen Flüchtlinge in der Exklave Ceuta. Dort waren zwischen Montag und Mittwoch vergangener Woche mehr als 8.000 Migranten eingetroffen – zum größten Teil schwimmend, zu einem geringen Teil auf dem Landweg. Wie Amnesty International festhält, wurden Flüchtlinge bei der Ankunft von spanischen Grenzbeamten geschlagen; auf Videos ist dokumentiert, wie Migranten von Felsen ins Meer gestürzt wurden. Hinzu kommt, daß mittlerweile rund 6.000 von ihnen über die Grenze nach Marokko abgeschoben wurden – ohne auch nur die geringste Gelegenheit, ein etwaiges Asylgesuch vorzubringen. Dies widerspricht dem völkerrechtlich verpflichtenden Non-refoulement-Gebot. Mindestens eine Person kam beim Versuch, nach Ceuta zu gelangen, um; Spanien setzte schließlich sogar Militär gegen die Flüchtlinge ein. Amnesty International verlangt nun, Madrid solle „eine gründliche Untersuchung“ zum teils brutalen Vorgehen der Behörden einleiten. Bei Human Rights Watch heißt es, auch die plötzliche Ankunft einer so hohen Anzahl an Menschen rechtfertige es nicht, sie ohne jede Rücksicht auf etwaige asylrechtliche Ansprüche unmittelbar nach Marokko abzuschieben.
In Reaktion auf die Geschehnisse in Ceuta haben Berlin und die EU klar Position bezogen – nicht zugunsten der Flüchtlinge, sondern auf Seiten der spanischen Grenzbehörden. Schon am Mittwoch ließ die Bundesregierung mitteilen, sie „begrüße“ die „Maßnahmen der spanischen Regierung“. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte: „Die EU steht in Solidarität mit Ceuta und Spanien.“ Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bestätigte die „volle Solidarität“ der Union mit Madrid: Sie müsse „das Notwendige tun, um Spanien in diesen schwierigen Momenten zu unterstützen“. Mit Blick auf die Reaktionen in Brüssel urteilte eine Sprecherin von Amnesty International richtiger Weise, weil führende Politiker der EU „so schnell damit waren, Spanien zu unterstützen und zu erklären, die spanischen Grenzen seien EU-Grenzen“, müsse man nun „nach derselben Logik spanische Übergriffe auch als EU-Übergriffe“ einstufen. Solidarität mit den Migranten dagegen bekunden außer Menschenrechtsorganisationen vor allem kirchliche Kreise; so nahm die spanische Bischofskonferenz das Geschehen in Ceuta nicht zum Anlaß, die spanischen Grenzbehörden zu loben, sondern dafür, auf „die Verzweiflung und die Verarmung“ der Flüchtlinge hinzuweisen und den Schutz ihrer Rechte einzufordern.
Der Hintergrund der Ereignisse in Ceuta hat dabei zunächst überhaupt nichts mit Flüchtlingen zu tun, sondern mit der Westsahara. Das Territorium, ein rund 1.000 Kilometer langer Wüstenstreifen am Atlantik mit großen Phosphatvorkommen, unterstand bis 1975 spanischer Kolonialherrschaft; gegenwärtig wird es zu rund zwei Dritteln von Marokko kontrolliert. Gegen die marokkanische Herrschaft kämpft – bis heute – die sahrawische Unabhängigkeitsbewegung mit ihrer bewaffneten Organisation Polisario).
Zur Lösung des Konflikts ist bereits seit drei Jahrzehnten eigentlich ein Referendum unter UN-Ägide vorgesehen; über dessen Modalitäten gibt es allerdings keine Einigkeit. Im Dezember 2020 hat der damalige US-Präsident Donald Trump die Lage weiter zugespitzt, indem er erklärte, Washington erkenne als erster Staat weltweit Marokkos Souveränität über die Westsahara an – im Gegenzug zu Rabats Entscheidung, seinerseits Israel anzuerkennen. Marokko erhöht seitdem den Druck auf die Staaten der EU, es den Vereinigten Staaten gleichzutun. So hat Rabat angeordnet, die Kontakte zur deutschen Botschaft und anderen deutschen Organisationen einzustellen, und kürzlich seine Botschafterin aus Berlin zu Konsultationen zurückgerufen. Der Streit dauert an.
Um seine Position weiter zu stärken, macht sich Rabat nun die Tatsache zunutze, daß die EU alles daran setzt, die Einwanderung „unerwünschter“ Migranten zu vermeiden. Vorbild ist offenkundig die Türkei. In Marokko herrscht bereits seit Jahren Unmut darüber, daß die EU Ankara für seine Dienste bei der Flüchtlingsabwehr mit inzwischen gut sechs Milliarden Euro belohnt hat, Marokko hingegen lediglich mit 238 Millionen Euro. Zudem ist Rabat erzürnt, daß Polisario-Anführer Brahim Ghali zur Zeit in einem spanischen Krankenhaus wegen Covid-19 behandelt wird. Ganz ähnlich wie die Türkei Anfang 2020 hat nun auch Marokko zu Wochenbeginn die Grenzkontrollen faktisch eingestellt; Videoaufnahmen zeigen, wie ein marokkanischer Grenzbeamter Migranten an einem Grenzposten nach Ceuta durchwinkt, und ein Flüchtling wird mit der Aussage zitiert: „Sie sagten uns, daß sie uns nicht aufhalten würden, die Grenze sei offen.“ Zwei Tage lang setzte Rabat seine Handlangerdienste als bereitwilliger Flüchtlingsabwehrhelfer der EU faktisch aus – mit der Folge, daß mehr als 8.000 Migranten nach Ceuta gelangen konnten. Der Schritt hat mit einem Schlag aufgezeigt, wie sehr Brüssel mit seinem völkerrechtswidrigen Bestreben, die Flüchtlingsabwehr so weit wie möglich auszulagern, in Abhängigkeit von Drittstaaten auch in Nordafrika gerät.
Die EU reagiert mit Drohungen – und neuen Verhandlungsangeboten. Man werde sich in puncto Einwanderung „von niemandem einschüchtern lassen“, sagt Margaritis Schinas, Vizepräsident der EU-Kommission mit Zuständigkeit für die „Förderung des European Way of Life“ sowie für Migration. Niemand könne „die Europäische Union erpressen“; Staaten, von denen Migration ausgehe, müßten wissen, daß die Thematik „ein zentraler Teil unserer Partnerschaften, unserer internationalen Beziehungen“ sei. Brüssel habe im September einen neuen „Migrationspakt“ präsentiert; es sei nun Zeit, ihn zu verwirklichen. Bei seiner Realisierung ist Brüssel auf die Kooperation mit Staaten wie etwa Marokko angewiesen.
An Marokkos Umgang mit Flüchtlingen wiederum üben Menschenrechtsorganisationen schon seit Jahren scharfe Kritik. Im Sommer 2018 etwa führten die marokkanischen Repressionsapparate mehrere Monate lang großangelegte Razzien in Gebieten unweit der spanischen Exklaven Ceuta und Melilla durch, griffen von Juli bis Anfang September rund 5.000 Flüchtlinge auf, zwangen sie in Busse und setzten sie in abgelegenen Wüstengebieten an der Grenze zu Algerien oder im Süden des Landes aus. Proteste von Menschenrechtsorganisationen verhallten ungehört. Derlei Razzien werden bis heute immer wieder durchgeführt – zwar in deutlich kleinerem Maßstab, dafür aber regelmäßig, wie die Association Marocaine des Droits Humains (AMDH) bestätigt. Ein Hinderungsgrund für die Flüchtlingsabwehrkooperation ist das für die EU nicht.
Alles in allem sind die Staaten der EU eine menschenverachtende und sich Straftaten internationalen Rechts schuldig machende Union, die Hilfesuchende lieber im Meer ertrinken läßt, als ihnen zu helfen. Anstatt – in Punkto Menschenrechte – andere Staaten großspurig zu kritisieren, sollte die EU und allen voran Deutschland besser einmal – SEHR GRÜNDLICH – vor der eigenen Haustüre kehren. Vor der liegt nämlich sehr viel Dreck!
Wir sehen und zur nächsten Sendung wieder!
Quelle:
German Foreign Policy