Sendung 520 vom 03.09.2020
Willkommen liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Mehr als 400 Flüchtlinge warten im zentralen Mittelmeer vor Sizilien auf die Zuweisung zu einem sicheren Hafen. Die geschwächten und zum Teil verletzten Flüchtlinge sind in der letzten Woche von den privaten Seenotrettungsschiffen Louise Michel und Seawatch 4 vor dem Ertrinken gerettet worden. Die Louise Michel, die mehr als 200 der schiffbrüchigen Flüchtlinge aufgenommen hatte, war so überfüllt, dass sie länger als einen Tag manövrierunfähig auf den Wellen trieb.
Hilferufe an die maltesischen und italienischen Behörden blieben unbeantwortet. Außerdem harren auf dem dänischen Tanker Maersk Etienne 27 Migranten, darunter Kinder und eine schwangere Frau, seit fast vier Wochen aus, ohne an Land gehen zu können.
Durch die Einstellung jeglicher staatlichen Seenotrettungsmissionen im zentralen Mittelmeer haben Unglücke von Flüchtlingsbooten mit häufig tödlichem Ausgang in den letzten Wochen stark zugenommen. Durch die illegale Festsetzung von privaten Seenotrettungsschiffen wie der Ocean Viking, der Alan Kurdi und der Sea Watch 3 patrouillierten wochenlang auch keine zivilen Seenotrettungsschiffe im Mittelmeer.
Wie dramatisch zugespitzt die humanitäre Situation in dem Seegebiet zwischen Libyen und Italien aber tatsächlich ist, machen die Rettungsmissionen der Seawatch 4 und der vom britischen Streetart-Künstler Banksy finanzierten Louise Michel deutlich.
Die Seawatch 4 ist am 15. August vom spanischen Burriana aus gestartet und hat nach Ankunft im Zielgebiet am 22. und 23. August innerhalb von 48 Stunden mehr als 200 Flüchtlinge aus dem Meer gerettet. „Die meisten der heute Morgen geretteten Personen waren schwach und desorientiert, rochen stark nach Benzin und zeigten Symptome einer Kraftstoffinhalation. Über 90 Personen benötigten Notduschen, da sie dem Benzin ausgesetzt waren, das den Motor antreibt, schädliche Dämpfe erzeugt und in Verbindung mit Salzwasser stark ätzend ist“, schrieb die medizinische Projektkoordinatorin der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen an Bord der Seawatch 4, Barabara Deck.
Wenige Tage später ist die Louise Michel ebenfalls von Burriana aus in See gestochen. Das nur 31 Meter lange ehemalige Patrouillenboot des französischen Zolls, ist zu klein, um hunderte Flüchtlinge mehrere Tage unterzubringen und zu versorgen. Es ist aber mit einer Höchstgeschwindigkeit von 27 Knoten wesentlich schneller als andere zivile Rettungsschiffe und kann daher vor Ort Rettungsmaßnahmen einleiten. Die Crew hat so die Bergung von mehr als hundert Flüchtlingen durch die Seawatch 4 unterstützt.
Am vergangenen Donnerstag jedoch musste sie selbst 89 Flüchtlinge aufnehmen. Am nächsten Tag folgte die Louise Michel einem Notruf des Aufklärungsflugzeuges Moonbird, das von Flüchtlingshelfern betrieben wird. Die Moonbird hatte ein Schlauchboot entdeckt, das sich nicht mehr von der Stelle bewegte und voll Wasser lief. „Wir waren schockiert, als wir das Schlauchboot entdeckten. Es war unglaublich überfüllt und die Menschen an Bord versuchten mit ihren bloßen Händen das Wasser aus dem Boot zu schaufeln. Wir wussten sofort, dass es sich um eine ernste Notfallsituation handelte und funkten ein Notruf an alle Behörden und Akteure in der Nähe. Die eigentlich verantwortlichen europäischen Behörden reagierten jedoch nicht und nur die Lousie Michel beantwortete unseren Notruf“, erklärte Neeske Beckmann vom Moonbird.
Während die europäischen Behörden ihrer Pflicht zur Seenotrettung nicht nachkamen und alle Notrufe ignorierten, rettete die Louise Michel Freitag früh 130 Flüchtlinge aus akuter Seenot. Ein Flüchtling konnte nur noch tot vom Schlauchboot geborgen werden, drei weitere waren bereits zuvor ertrunken. Viele der Geretteten weisen starke Verätzungen durch die Mischung von Benzin und Salzwasser im Boot auf, erklärte die für die Operation der Louise Michel verantwortliche Lea Reisner.
Da die Louise Michel keine 219 Flüchtlinge an Bord aufnehmen konnte, befestigte die Crew eine Rettungsinsel am Rumpf, wodurch das Schiff jedoch manövrierunfähig wurde und selbst Hilfe benötigte. Stundenlang wurde der Notruf der Louise Michel von den Rettungsleitstellen in Italien, auf Malta oder in Bremen ignoriert. Erst am Samstag kam ein italienisches Küstenwachtschiff der nahe der italienischen Insel Lampedusa hilflos treibenden Louise Michel zu Hilfe und übernahm 49 Flüchtlinge, die dringend auf medizinische Hilfe angewiesen sind. Später übernahm dann die Seawatch 4 weitere 150 Flüchtlinge und wartet nun darauf mit 350 Flüchtlingen an Bord einen sicheren Hafen anlaufen zu können.
Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen für Flüchtlinge (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) forderten die Europäische Union auf, sofort einen sicheren Hafen für die insgesamt mehr als 400 Flüchtlinge auf hoher See zur Verfügung zu stellen. In einer gemeinsamen Erklärung betonten die beiden Organisationen, dass „es eine humanitäre Pflicht sei, Menschenleben zu retten“. Das Fehlen einer EU-weiten Kooperation, Flüchtlinge aufzunehmen, sei „keine Entschuldigung dafür, gefährdeten Menschen einen sicheren Hafen und die benötigte Hilfe zu verweigern, wie es das Völkerrecht vorschreibt“, heißt es in der Erklärung weiter.
Doch die Behörden auf Malta und Italien verweigern sich und blockieren die Anlandung der Flüchtlinge. Damit schürt sie Rassismus im Stile Salvinis. Der Präsident der italienischen Region Sizilien hatte erst vor einer Woche angeordnet, dass alle Aufnahmezentren der Insel geschlossen und sämtliche Flüchtlinge abgeschoben werden sollen. Regionalpräsident Nello Musumeci begründete diesen barbarischen Plan mit der Sorge vor steigenden Covid-19-Infektionen.
In seiner Anordnung verfügte der von rechten und rechtsextremen Kräften ins Amt gehievte Musumeci weiter, dass kein Flüchtling die Insel mehr betreten, durchreisen oder dort Station machen dürfe. Betroffen von der Anordnung sind auch die zivilen Seenotrettungsschiffe der Hilfsorganisationen, darunter jetzt die Seawatch 4 und die Louise Michel.
In Italien sind seit Anfang des Jahres knapp 19.000 Flüchtlinge aus Nordafrika angelandet, wobei vor allem der Anteil der aus ihrem Land fliehenden Tunesier sprunghaft angestiegen ist. Nach offiziellen Zahlen sind dabei 359 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Die tatsächliche Opferzahl dürfte dabei weit höher liegen. Da sich die Europäische Union aus der Seenotrettung zurückgezogen hat und zugleich die zivile Seenotrettung weitgehend blockiert worden ist – immer wieder werden Rettungsschiffe unter fadenscheinigen Gründen festgesetzt – bleiben viele Bootsunglücke im zentralen Mittelmeer unbemerkt.
Die Gleichgültigkeit der Europäischen Union gegenüber dem tausendfachen Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer – alleine seit 2014 sind offiziell mehr als 14.000 Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken – ist ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht und ein humanitäres Verbrechen. Unter der deutschen Ratspräsidentschaft wird die mörderische Politik der Flüchtlingsabwehr weiter verschärft. Geplant sind die Internierung von Flüchtlingen an den EU-Außengrenzen und die Durchführung von Asylschnellverfahren und damit massenhaften Deportationen.
Am vergangenen Wochenende hat sich die gesamte Politik über ein kleines Häufchen durchgeknallter Rechtsradikaler aufgeregt. Doch wo sind die Stimmen aus der Politik, die sich über die wirklichen Verbrecher aus den Reihen der Machthabenden in Brüssel und Berlin aufregen? Denn die haben Blut an ihren Händen!
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder