Sendung 456 vom 08.11.2018
Hallo liebe Zuschauerinnen und Zuschauer!
Eine Meldung erregte in der vergangenen Woche unsere Aufmerksamkeit, die es so in diesem Land eigentlich gar nicht geben darf. Obwohl dies der Fall ist, wurde sie von der Öffentlichkeit weder beachtet noch behandelt.
Wir zitieren hier einmal den kurzen Inhalt:
Von einer bemerkenswerten Entdeckung berichtet ein Atomkraftgegner, der vor dem Amtsgericht Hamburg-Harburg wegen der Blockade eines Urantransportes im Hamburger Hafen 2014 angeklagt wird. Der Ablauf des Prozesses und das Urteil seien bereits vorab schriftlich in der Gerichtsakte festgelegt worden, erklärte Dominik R. in der vergangenen Woche. Dazu sei vermerkt gewesen: „Bitte vor der Akteneinsicht alle Unterlagen dringend entfernen.“ Das ist offenbar nicht geschehen.
„Bei Durchsicht der Unterlagen fand ich unter anderem einen exakten Ablaufplan für meinen Prozess“, berichtet der Angeklagte. In diesem Ablaufplan seien zwar noch Lücken zum Ausfüllen gewesen, etwa für Notizen zum Plädoyer. Das Urteil sei jedoch mit „Nötigung in Tateinheit mit Störung öffentlicher Betriebe“ bereits ausgefüllt. Auf der nächsten Seite das handschriftliche Konzept für die passende Urteilsbegründung. „Alles geschrieben, bevor die Beweisaufnahme überhaupt begonnen hat“, empört sich der Angeklagte. „Schwarz auf weiß steht hier also in den Unterlagen schon, dass ich verurteilt werden soll.“ Das sei „an Absurdität kaum zu überbieten“
Das Amtsgericht war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Ein Schreiben des Gerichts bestätigt allerdings die Schilderung des Angeklagten. Darin lehnt ein zweiter Richter den Befangenheitsantrag des Angeklagten als „unbegründet“ ab – und verteidigt das Vorgehen des Kollegen: „Es ist dem Tatrichter unbenommen, sich schon vor der Hauptverhandlung durch die Fertigung eines Urteilsentwurfs (…) auf die Hauptverhandlung vorzubereiten.“ Den Schluss einer Vorverurteilung oder Voreingenommenheit des Richters lasse dieses Vorgehen aber nicht zu, so der Richter.
Bereits im Befangenheitsantrag notierte der Betroffene, schon oft das Gefühl gehabt zu haben, dass insbesondere bei politischen Prozessen das Urteil schon vorher feststehe. Durch die Entscheidung fühle er sich in dieser Vermutung „gleich doppelt schwarz auf weiß“ bestätigt, erklärte seine Verteidigerin am vergangenen Mittwoch. Zu behaupten, ein vor Prozessbeginn allein aufgrund der Akte angefertigter Urteilsentwurf sei keine Vorverurteilung, findet Sie „realitätsfern und absurd“.
Soweit die kurz zitierte Zusammenfassung.
Es ist eigentlich unfassbar, dass im 21. Jahrhundert gerade in diesem Land so etwas möglich ist. Die sogenannten „Werte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“, die von der herrschenden Klasse so gerne zitiert werden, werden ad absurdum geführt und mit Füßen getreten.
Eine solche Vorgehensweise gab es in der Vergangenheit dieses Landes bereits schon einmal. Und zwar beim Volksgerichtshof der Nazis im dritten Reich, mit seinem gefürchteten Gerichtspräsidenten Roland Freisler – einem der größten Verbrecher des dritten Reichs.
Der Volksgerichtshof war ein politisches Gericht zur Ausschaltung der Gegner des NS-Regimes. Mit dem Grundsatz „Recht ist, was dem Volke nützt“ wurde die Rechtsprechung im Nationalsozialismus den politischen Gegebenheiten angepasst. Organisation und Gerichtsverfahren waren – unter Missachtung rechtsstaatlicher Grundsätze – auf kurze Prozesse ausgerichtet und politische Gegner in der Regel zum Tode verurteilt. Die Urteile standen hier schon vorher fest.
Es muss hier und heute einmal die Frage gestellt werden, wie es sein kann, dass offensichtliche Parallelen zwischen diesem historischen Verbrecherorgan und der heutigen Justiz nicht abgestellt, bzw. geduldet werden.
Fest steht, dass gerade im Umfeld politischer Aktivisten immer wieder von einer gezielten Verfolgung durch die Repressionsorgane des Staates gesprochen werden kann. Sei es die damalige Blockadeaktion im Jahr 2014, Blockupy Frankfurt oder die G20 Proteste in Hamburg: Immer wieder gehen die Repressionsorgane des Staates mit extremer Härte und Brutalität gegen andersdenkende vor. Dass Demonstrationen und Demonstranten durch die Verfassung einen besonderen Schutz genießen schein für die herrschende Klasse irrelevant zu sein. Im Gegenteil wird schon durch die Form des Auftretens der Staatsorgane eine gezielte Provokation aufgebaut.
Nunmehr scheint bewiesen, dass auch die Justiz, zumindest bei politischen Urteilen, von den Organen des Staates gezielt gelenkt wird und Urteile schon im Voraus feststehen, was gegen alle Rechtsvorschriften verstößt. Sei es Grundgesetz, Europarecht oder Völkerrecht. Aber wie schon erwähnt hat herrschende Klasse Deutschlands darin eine langjährige Erfahrung.
Ziel muss es sein gegen diese Unterdrückungs- und Repressionsstrukturen eines neoliberal / kapitalistischen Wirtschafts- und Politsystems eine klare Opposition entgegenzustellen mit dem Ziel diese Strukturen durch ein wirklich demokratisches, auf Grundlage international gültiger Rechtsvorschriften basierendes Organ zu ersetzen.
Die Verfolgung andersdenkender sollte endgültig der Vergangenheit angehören.
Hier noch eine kurze Meldung, die für sich spricht:
Wieder hat der zuständige UN-Ausschuss Deutschland in Hinblick auf die Einhaltungen seiner Verpflichtungen aus dem UN-Sozialpakt überprüft und wieder kommt er zu einem beschämenden Ergebnis.
Der Ausschuss ist besorgt darüber, dass das Niveau der grundlegenden Sozialleistungen nicht ausreicht, um den Empfängern und ihren Familien einen angemessenen Lebensstandard zu ermöglichen. Er ist auch besorgt über die Berechnungsmethode für das Existenzminimum, die auf einer Stichprobenerhebung der Ausgaben der Haushalte mit dem geringsten Einkommen basiert und einige der Grundkosten ausschließt. Er ist ferner besorgt über die Sanktionen, die Grundsicherungsempfängern für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch II auferlegt werden, die die Leistungen um 30 bis 100 Prozent senken und insbesondere junge Menschen betreffen, deren Leistungen vollständig aufgehoben werden, wenn befunden wird, dass diese ihre Pflichten verletzt haben. Er bekräftigt außerdem seine Besorgnis über die Definition der als >>angemessen<< eingestuften Beschäftigung, die von Arbeitssuchenden angenommen werden muss.
Der Ausschuss empfiehlt dem Vertragsstaat, die Höhe der grundlegenden Sozialleistungen durch eine Verbesserung der Berechnungsmethoden für das Existenzminimum in Anbetracht des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Juli 2014 zu erhöhen. Er fordert den Vertragsstaat außerdem dazu auf, das Sanktionsregime zu überprüfen, um sicherzustellen, dass das Existenzminimum stets Anwendung findet. Er empfiehlt ferner, dass der Vertragsstaat ausdrückliche Kriterien für die Beurteilung der Eignung der Beschäftigung in Übereinstimmung mit dem Artikel 21 Absatz 2 der IAO (Nr. 168) zur Beschäftigungsförderung und zum Schutz gegen Arbeitslosigkeit von 1988 festlegt. Der Ausschuss macht den Vertragsstaat auf seine allgemeine Anmerkung Nr. 19 (2008) zum Recht auf soziale Sicherheit aufmerksam.”
(UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte – Auszug aus den abschließenden Bemerkungen im Rahmen des Prüfverfahrens zum völkerrechtlich verbindlichen UN-Sozialpakt gegenüber Deutschland).
Wir sehen uns zur nächsten Sendung wieder.
Quellen:
Tageszeitung Junge Welt
TAZ
Maskenfall